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In Gerd Buurmanns Blog (das heißt Tapferimnirgendwo
und liest sich immer nett) steht ein ->
Gastbeitrag von mir, dieser hier. Er handelt von einem
Ärgernis aus Hass-Pappen gegen Juden und gegen Israel mitten auf der
merkwürdigen Domplatte mitten in der merkwürdigen Stadt Köln. Nämlich
dorten tobt ein gewisser Walter Herrmann seinen Hass gegen alles Jüdische
und Israelische auf merkwürdig braunen Pappen aus. Gerd Buurmann hat ihn
schon zweimal angezeigt - aber die Staatsanwaltschaft weigert sich,
Anklage zu erheben: Es bestehe kein öffentliches Interesse, so die
Begründung... sehr merkwürdig. Trinken die seit jeher zuviel Kölsch mit
dem Hasspapp?
Gezielter Ärger gegen’s Herrmann-Ärgernis
(2011)
Vor einiger Zeit habe ich hier in ->
Gerd Buurmanns Blog vollmundig zu Sachbeschädigung & Ärgernis gegen das
notorische Herrmannsche Domplatz-Ärgernis aufgerufen. Jaja, gerufen von weit her naturgemäß. Denn das ist ja so leicht, zurückgelehnt aus der letzten Reihe zu rufen: Na tut mal was!
Wohingegen ich just heute (Donnerstag, 15. September) just durch eben die Straßen dieses Kölns ging, und da in der südwestlichen Ecke der Domplatte standen sie wirklich, die Hass-Pappen des Herrn Herrmann. Da, wo wohl die meisten Leute durchkommen. Ich also im Angesicht der Hasspappen dachte, tja, da stehen die rum und was mach ich nu?!, hic Rhodus, hic salta?, aber so leicht, wie es sich dachte & hier im Blog geschrieben ward, ist es ja nicht, also das, die Herrmannschen Judenhass-Pamphlete einfach mal so anzuzünden. Ich wollte es zwar. Aber wie geht so was eigentlich? Zumal mit nur ‘nem alten Zippo in der Tasche. Denn die herrmannschen Hass-Pappen sind dick, und da ist auch noch diese Plastikfolie drauf.
Also mehr gewollt als gekonnt. Ach übrigens, es stand auf den Hass-Pappen wieder die alte Leier drauf, nämlich dass die Israelis den Palästinensern das antun, was die Deutschen den Juden damals usf., und allerorten prangten Bilder von tödlich verletzten Palästinenserkindern usf., Völkermord am Volk der Palästinenser durch Israel usf., und naturgemäß galt der Israeli nein der JUD als an allem Schuld – so stand es allerorten mit jägergrünem Edding auf braunes Gepapp geschrieben.
Mitten in diesem verdammten Land hetzt irgend ein Cherusker-Herrmann über die Juden ab – und er darf das. Was soll man da selber machen? Kann man doch nicht so stehenlassen! Das war doch alles schon mal! Was haben wir denn; 1932?! Kann man doch nur noch anzünden, das Zeug…
Ich habe aber nichts angezündet, denn das geht gar nicht so sehr leicht!, ach, ich erwähnte es schon!, sondern ich ging um’s illustre Halbrund der schillernden Hass-Pappen herum zu dieser Unterschriftenliste hin, die lag in der Mitte des Quasi-Papp-Halbkreis-Altars auf einem Podest. Da prangten noch mehr infame Dinge. Ich strich das Gepränge mim’ Stift dick durch, Krikel-Krakel mitten drauf auf die Schnörkel der Hamas-Gutfinder, und dann stürzte ich den Podest mitsamt Listen um. Mit Schmackes, Gepolter und Überzeugung. Die Blätter flogen.
Herbei wie ein getretener Köter eilte der Herr Herrmann. Den hatte ich noch nie gesehen – bin ja nisch aus Kölle, wo’s sowatt jibbet, denn ich bin ja aus St.Pauli, wo’s sowas wie hier einfach niemals nich’ geben tut. Der Herr Herrmann hat bleiche Augen mit gebrochenem, obstinatem Blick. Er ist klein und mies, besonders wohl innendrin, sofern er denn ein Inneres hat. Er sieht aus wie jene ex-Unteroffiziere, Sportlehrer und Hausmeister, die bis in die Sechziger ihr Unwesen ungewendet auslebten. Ich hatte den Herrn Herrmann ja vier Handbreiten vor meinem Gesicht und hab schon gesehen, was das für einer ist. Augen mit dieser Mischung aus Angst und Hass, dazu diese Grundverwirrtheit drin: Ach, Angst, Hass & Dummheit, diese fatale Trinität, die seit den Zeiten Turnvater Jahns durch die deutschen Gossen und Salons kriecht. Dagegen ist seit ’33 erst Recht kein Kraut gewachsen. Und er denkt, dass er ein wichtiger Typ sei. So quasi-waidmännisch, klein und alert, ex-drahtig, unbeirrbar, hassend, und mit heiliger Mission im Nacken.
Er rannte also herbei und riss eine Trillerpfeife aus der Hosentasche. Rechtshänder ist er. Ich schrie ihm ins Gesicht, dass er ein mieser Typ und ein Judenhasser und ein Antisemit ist (der dreifache Pleonasmus eben für die ganz Dummen), und dass er doch zur Hölle gehen möge, und da trillerpfiff er, pfiff und pfiff. Er hat wohl immer diese mickrige Trillerpfeife in der Tasche, so praktisch wie feige, denn dann muss er nicht argumentieren, dann muss er nur die uniformierte Ordnung herbeipfeifen. Vielleicht hat ihm ja die Polizei den Tip gegeben? So was in der Tasche zum Panikpfeifen hat der, ganz wie ein Schupo in der guten alten Zeit – sieht der Herr Herrmann sich selber so?, als guter und leidender Blockwart-Hausmeister gegen die bösen Juden, die seinem Vorgarten in Gaza und folglich ihm selbst zwei Haare krümmen.
In die mickrige Trillerpfeife pfiff er, pfiff und pfiff, irgendwie hechelnd, immer mit dieser Mischung aus Angst & Hass & Dummheit in den bleichen Augen. Sofort war ein Polizist da. Es vergingen ja keine zwanzig Sekunden. Kaum die Zeit, um mutatis mutandis ein Kölsch hinunterzustürzen. So schnell? Was tat der Polizist untätig am Orte des Judenhasses, wo versteckte er sich, vor Allem warum?, und vor Allem: Wer hat ihn da hingeschickt zum Schutz und Trutze?
Der Polizist frug mich dann aus seiner Höhe herab gewaltig, was ich denn für ein Problem hätte. Ich sagte, dass ich wohl das selbe Problem wie der Bürgermeister Roters habe, der wohl auch ein Problem mit diesem Herrn hier hat. Woraufhin der Polizist halbwegs von mir abließ.
Es hatte sich ein Publikum gebildet, vielleicht kein gebildetes Publikum, aber immerhin eins!, denn wo was los ist, bilden sich ja meist Leute und warten, dass was passiert. Also rief ich da hinein, dass der Mann da ein Judenhasser ist, „sehen Sie sich den an!, der ist ein Judenhasser, dieser da, er hasst Juden und Israelis, er ist gefährlich, merken Sie sich das Gesicht!, sehen Sie ihn?!“ Usf.
Worauf ich dann wegging. Denn Polizei war da und Ordnung herrschte im Halbrund. Judenhass darf verbreitet werden, denn so ist wohl die kölsche Ordnung. Bitte?! Juden und Israelis dürfen dort als Nazis bezeichnet werden, Israel darf dort mit der deutschen Wehrmacht verglichen werden, die die halbe Welt ausgemordet hat, denn so steht es da mit jägergrünem Edding auf braunem Gepapp. Und die Polizei passt auf, dass es so bleibt.
- Übrigens, ich bin ganz gern für einen Streit zu haben – aber dort irgend Spaß gemacht hat es übrigens durchaus gar keinen. Denn dieser Herr Herrmann meint es sichtlich so furchtbar Ernst mit den Juden. Das macht mir Angst, weil ich dann an meine Eltern denken muss, und daran, was sie auszuhalten hatten. Und wenn sich einer so furchtbar um die Juden kümmert, macht es mir einfach keinen Spaß mehr.
PS.
Ach à propos: Was, wenn jeden verdammten Tag dorten einer Ärger machte? Jeden Tag. Was, wenn dieser Herr Herrmann an jedem verdammten Tag irgend eine Schreierei, Umstürzerei, Abreißerei usf. aushalten müsste? Der Ärmste, er würde irgendwann seine Pappen final zusammenklauben und zur Hölle oder wenigstens da hin gehen, wo er wohnt. Dann wär a Ruah. Wie heißt das auf Kölsch?
Es folgt ein Bericht darüber, wie
einer, der glaubt, das hier sei seine deutsche Straße, mich Anderen, von dem er glaubt, diesen habe er als Juden durch seine deutsche Straße zu jagen - wie der mich dann also verdammtnochmal als Juden durch seine verdammtnochmale deutsche Straße jagt.
Diese Schabbes-Nacht, als mich einer vergasen will
(2008 und 2010)
Es ist der 15. September 2007 fünf vor halb sieben am Morgen und ich stürze durch die Haustür. Es ist Schabbes-Schuwe. Am Schabbes schläft man um die Zeit noch allerfestest. Aber ich stürze jetzt fünf vor halb sieben Morgens zerschrammt, zerzaust und vernichtet durch die Haustür, knalle sie von innen bombenfest zu, stürze durchs Treppenhaus, fingere meine Wohnungstür auf, stürze hinein, schließe die Tür mit allen drei oder mehr Schlössern zuer als zu und falle über die Küchenschublade her. Da liegt der Revolver drin. Den ramme ich mir in die Hosentasche. Es ist fünf vor halb sieben Uhr Morgens am Schabbes-Schuwe und ich renne jetzt nutz- und sinnlos mit dem rüttelnden Hosenbeinbeulen-Revolver durch die Küche, durchs Entrée, durchs Bücherzimmer, durchs Entrée, durchs Badezimmer und wieder durchs Entrée und durch die Küche. Ich konnte ja vorher nicht nach Hause. Wegen der beiden Nazis, die mich in der Nacht auf der Reeperbahn zugerichtet haben, die mich zerzaust, geprügelt, gewürgt und bespuckt haben und denen ich dann in der Nacht entkommen bin.
Ich stürze jetzt zur Wohnungstür und sehe nach, ob ich sie nach dem Hineinstürzen denn so luftdicht zugeschlossen habe, wie es denn nur geht. Aber ja, sie ist absolut zu. Ich renne ins Bücherzimmer, renne wieder aus dem Bücherzimmer hinaus, renne durchs Entrée ins Badezimmer und wasche mir mit Vernunft und viel heißem Wasser und viel mehr Seife die Nazi-Spucke vom Gesicht, vom Ohr und aus den Haaren. Die ist längst trocken, denn die Nacht war lang. Aber sie muss ab. Erst muss die Nazi-Spucke ab, dann werde ich ins Bücherzimmer rennen, um aufzuschreiben, was war und was wann wie war und was überhaupt war und wie. So herum. Erst ab, dann schreib. Das denke ich jetzt innen drin im Gehirn mit draußen vorm Gehirn dem ganz heißen Wasser, das mir grad die letzten Reste trockener Nazi-Spucke
vom Schädel wegkocht.
Ich renne durchs Entrée durchs Bücherzimmer an den Computer, fahre mir durch die nassen Haare, blinzele auf den Bildschirm, meine Brille ist hin, die Nazis haben sie mir beim Würgen zerstört. Ich sehe mehr Schlieren als Bildschirm. Ich blinzele, schreie, würge ein bisschen vor mich hin, um dann die Finger zu spitzen und Folgendes aufzuschreiben:
Dass ich um 02:25 Uhr in der Nacht des 15. September 2007 auf der Reeperbahn mit zwei Nazis zusammengestoßen bin. Nein, das streiche ich wieder. Denn ich schreibe auf, dass die mit mir zusammengestoßen sind, denn wieso sollte ich mit denen zusammengestoßen sein?, es war ja nicht so herum,
es war ja naturgemäß anders herum. Also die sind naturgemäß mit mir zusammengestoßen, naturgemäß, schreibe ich auf. Nein. Ganz schlechter Anfang. Ich streiche den schlechten Anfang und schreibe auf, dass ich also um fünf vor halb drei in der Nacht über die Reeperbahn ging. Weil ich zuvor an der Elbe gewesen war und nachgedacht hatte, nach der Synagoge am Abend, weil jetzt Schabbes-Schuwe ist und weil mir danach war, an der Elbe zu gehen und nachzudenken. Dafür ist die Elbe da, das Wasser endlos unter der Nacht. Das schreibe ich. Es liest sich wie eine Rechtfertigung, merkwürdig, störend, unnötig, aber ich schreibe es so. Ich schreibe auch, was der Schabbes-Schuwe eigentlich sei, der Schabbat-Tschuwah auf hochdeutsch usf. und das ist noch unnötiger, diese sich Rechtfertigerei und sich Erklärerei ist so völlig unnötig, ja völlig zum Schreien dämlich ist sie, aber ich streiche es nicht, komisch, da steht’s und schreit mich an. Dann finde ich den Faden wieder und schreibe, dass ich so gegen halb drei dann nach Hause wollte, nein, das streiche ich, ich streiche das T und das E und das O und schreibe im Präsens, das ist besser, denn das ist alles jetzt... ich bin jetzt genug an der Elbe gewesen, am Wasser endlos unter der Nacht, schreibe ich, ich habe jetzt genug nachgedacht, will jetzt nach Hause, und der Weg führt über die Reeperbahn hinüber. Ich komme von Süden aus der Dunkelheit der Lincolnstraße und kreuze die Reeperbahn um fünf vor halb drei, komme hinaus aus der Dunkelheit mitten in dieses rote und blaue Geflirr aus Lichtern. Das schreibe ich so auf. Dass die Stelle der Reeperbahn von buntem Glitzerlicht flirrt, dass da jedes Staubkorn in der Nacht von dem Glitzerlicht glitzert, jeder Schmutz, sogar die Schatten glitzern rot und blau. Das Trottoir der anderen Straßenseite badet in den Lichtern, da biege ich ab, gehe ein paar Schritte die Reeperbahn hinunter, habe noch die Elbe endlos unter der Nacht im Sinn. Die Elbnacht ist völlig weg, hier flirrt nichts als die Luft in Rot und Blau, die Fassaden und der Dreck glitzern ohne Unterschied, es blinkt und rattert in den Augen.
Ich gehe durch den Hintergrund der Menschen im Rot und Blau. Proleten und Biedermänner, hier sind die. Es sind wenige und sie stehen herum in einer anderen Welt. Ich gehe durch das Flirren weiter in Richtung meiner Straße. Gerade jetzt, als sich aus dem Hintergrund einer löst. Der löst sich von so einem speckigen U-Bahn-Entlüftungskasten zwischen der Fischbude und dem
Eros-Center, speckig vom vielen Daranlehnen. Der lehnte da und jetzt löst er sich da aus dem Hintergrund. Ich kenne den. So ein Metzgertyp mit Rundkopf und fahlen Klamotten. Zusammen mit einem anderen Typen mit Strähnenhaaren wie verhungert. Er drängt sich mir in die Seite und stiert mich an. Während ich weitergehe. „Ach, der Jude“, sagt der Typ mir in die Seite, „na wie geht's dir, Jude?“
Ich drehe das Gesicht und sehe den Typen mit dem Rundkopf, sehe die versoffenen schlammigen Augen und die Stoppeln. Es ist dieser Nazi, der Volker Fuchs heißt. Leider kenne ich ihn. Vor Allem kennt er mich. Von der Straße und aus dem Gericht, wo ich gegen ihn aussagte, da starrte er mir ebenso geil und böse und leer in die Seite wie grad jetzt. Wieder die Frage, „na wie geht’s dir jetzt, Jude?“ Ich gehe weiter geradeaus. „Ach es geht so“, sage ich halb zur Seite, geradeaus weitergehend. Er rempelt mich in die Seite. „Wo hast du das Gas gelassen, Jude?“, fragt er, macht dem anderen Typen mit den Strähnenhaaren ein Zeichen, der springt hinter mich, wo ich ihn nicht sehen kann. „Gaaas“, sagt der Rundkopf jetzt. „Gas. Oh, es riecht nach Angst. Rieche ich Angst, rieche ich Schweiß? Na wie geht’s dir jetzt, du Scheißjude?“, fragt der Typ weiter, stiert mich aus schlammigen Augen an, rempelt und stellt mir ein Bein, während ich geradeaus weitergehe wie zuvor. Hier ist die Straße, in der ich wohne, ich sehe sie aus dem Augenwinkel, sie ist ungleich dunkler als die Reeperbahn, da ist es völlig finster und ich gehe geradeaus weiter wie zuvor. Während der Typ mich anrempelt, den anderen Typen hinter meinem Nacken sich ducken lässt und redet. „Nicht in die Straße?“, redet er und stellt mir ein Bein, „da wohnst du doch, du Scheißjude, das wissen wir, los komm mit da in die Straße oder bist du kein Mann?“ – „Och, doch nicht hier“, sage ich und denke einen kurzen hässlichen Gedanken. Ich gehe über die Straße hinweg die Reeperbahn weiter, gehe weiter wie zuvor während der Typ pausenlos mörderisch redet und rempelt. Ich weiß, dass ich zwei Möglichkeiten habe, a) in einen der Läden hier zu fliehen, aber da ist es eng und man weiß nicht, was da passiert, b) geradeaus weiterzugehen wie zuvor, knapp hundert Meter bis zur Davidwache. Ich wähle b), gehe weiter wie zuvor, während mir der Typ pausenlos in die Seite redet. „Ich würd dich sofort abstechen, hier jetzt gleich. Nanu, wo gehst du denn hin, nicht in die Straße?“, redet er und stellt mir ein Bein. Der andere Typ hinten in meinem Nacken rempelt. „Wieso, ich geh hier spazieren“, sage ich und gehe spazieren wie zuvor. „Dich würd ich sofort abstechen, du Scheißjude. Ich stech dich ab. Hier kommst du nicht lebend raus“, sagt Nazi-Fuchs immer im selben Tonfall. Ich glaube dem Tonfall. Vielleicht hat er ihn trainiert, so wie das Vokabular oder den schlammigen Seitenblick oder vielleicht das Abstechen.
Da kommen Leute auf dem Trottoir entgegen, es kommt bald drüben die Davidwache, ein breites Stück Trottoir, hier sollten Leute sein, hier sind immer Leute und es kommen Leute entgegen so wie sie sollten. „Hey Leute“, brüllt der Typ, „hier ist ein Jude, der da, mögt ihr Juden?“ Vielleicht hat er geübt und träumt
von einem Pogrom. Die Leute schneiden halbe Grimassen, weichen aus, sind weg. Ich gehe weiter wie zuvor, es ist nicht mehr weit, der Typ rempelt und redet wieder von „Gas“, der Andere von hinten stellt mir ein Bein oder zwei und
der Rundkopf mordredet fortwährend, ich stolpere in Schlangenlinien über
die Straße Hamburger Berg und weiter, die wollen dass ich mich wehre, sie hätten so gerne, dass ich den Anfang mache, das Weitere haben sie geübt. Ich wehre mich nicht, ich gehe in Schlangenlinien weiter wie zuvor auf die Spielbank zu, ein Dampfer aus Zuckerguss in der Wüste. An der Stelle stellt mir Rundkopf-Fuchs ein Bein, tritt mir in den Weg, ich stolpere, weiche aus und gehe weiter wie zuvor, fortwährend redet er,
„wenn ich dich hier noch mal erwische, bring ich dich um. Ich mach dich fertig, du Jude. Was du dir da im Gericht geleistet hast, nein das war nicht gut. Ich bring dich um. Ich riech schon das Gaaas. Riechst du das Gas? Du singst keine Messe mehr.“ – „Na ich sing doch keine Messen“, sage ich schräg zur Seite. „Ah so“, sagt der Typ, „du kommst ins Gas, du Scheißjude. Na, riech ich Schweiß und Angst? Du kommst hier nicht mehr weg...“
Da ist die Ecke, schräg rechts gegenüber die Davidwache, noch zwanzig Meter Schneise, ich gehe weiter wie zuvor und biege nach schräg rechts. Da tritt der Typ mir in den Weg, der andere würgt mich mit dem Arm um meine Kehle, ich sehe nichts mehr, spüre Stöße und Hiebe, der Arm drückt mir die Kehle zusammen. Nazi-Fuchs von vorne haut mir das Knie ins Genital. Mit
Bedacht und mit Lust, wie geübt. Ich sehe unter dem Rand meiner zerbrochenen Brille sein Gesicht, es ist aufmerksam und voll mit Rache,
auch irgendwie fleischig und geil wie das von Ernst Röhm, lustvoll, dem Juden ins Genital zu treten, den Juden zu demütigen.
Es ist offenbar seine Welt, das. Wer will schon wissen, was er sich über Genitale von Juden oder über sich als Mann oder über
Objekte und Lust denkt. Ich, halb erstickt und mich krümmend: „Wenn Sie mich nicht sofort loslassen, zeige ich Sie auf jeden Fall an.“ Der Typ von hinten lässt mich zögernd los, Nazi-Fuchs spuckt mir ins Gesicht - es ist nicht viel Spucke, es spritzt als Stoß durch die Luft und klatscht mir aufs Gesicht, auf ein Ohr und auf die Brille. Ich bin schon auf der Straße, nur die Schneise der Kreuzung bis zur Davidwache und bloß nicht rennen, weitergehen wie
zuvor und mich aus Trotz nicht krümmen, da, die Nazis verschwinden die Reeperbahn zurück.
Ich zerre im Gehen ein Taschentuch aus der Hosentasche, wische über die Brille, tupfe übers Gesicht, lasse es fallen, ich verschwinde im Eingang der Davidwache. Da bin ich in Sicherheit, oder nicht? Ich krümme mich vor Schmerzen und Krise, darf hier
aber nicht schlappmachen. Ich schleiche die Treppe hoch, denn hier gibt es eine Prachttreppe, der ganze Eingangstunnel der Davidwache ist Prachttreppe und von Prachttreppe ausgefüllt, denn die Davidwache ist ein herrschaftliches Gebäude und zu einem herrschaftlichen Gebäude gehört eine herrschaftliche Prachttreppe. Das denke ich
hochschleichend, mir ist nicht danach, an Anderes zu denken.
In der Davidwache geht es fast so weiter, es ist hier fast so wie
draußen, nur die Tonart wechselt von Dunkelbraun zu Polizeifarbe. Denn
hier herrscht ein junger Oberwachtmeister Runge, und in der folgenden halben Stunde bin ich hier verloren, bin ich hier aufgeschmissen, denn ich bin jetzt diesem lokalen Nachthalbgott von jungem Oberwachtmeister ausgeliefert wie eine Ratte, bin ihm unfassbar lästig, bin jetzt sein Objekt und bin ihm unterworfen und ich hasse es, hasse es und kann nichts dagegen tun. Ich sehe ihn durch meine auseinanderrutschende Brille an und versuche ihm zu diktieren, was passiert ist, aber er lässt mir keine Chance, benimmt sich hochfahrend, schnöselig, launisch, mies und feindlich wie ein Anwärtergott, er legt mir laufend Dinge in den Mund, die ich nicht gesagt habe, will mich fertigmachen und einschüchtern. Die sogenannte Vernehmung dauert lang und länger, vielleicht hat er das geübt. Der junge Oberwachtmeister ist hier der Lokalgötze und er lässt mich keinmal ausreden, schneidet mir laufend das Wort ab. Als ich ihm schließlich von unter dem Rand meiner Brille sage, dass sein Verhalten unprofessionell ist und dass er bitte einfach seine Arbeit tun soll, keift er, droht er mir, springt auf und schreit „also verdammt noch mal ich kann auch anders!!“, er verlässt den Raum, ist weg, stampft wieder herein, blitzt mich feindselig und verächtlich an, spottet und will mir beim Diktiertbekommen wieder Dinge in den Mund legen, die ich nicht gesagt habe. Wo bin ich hier gelandet? Er wiederholt, dass ich „mit den Beiden ins Gespräch gekommen“ sei. Dass sie mit mir „mitgegangen“ seien. Dass das meine „Bekannten“ gewesen seien. Er gefällt sich in der Floskel „ja, ja“. Ich fühle mich
immer mehr wie ein unfassbar lästiger, betrunkener, ungewaschener, verrückter Lügner, wie ein Simulant, wie einer, der’s so verdient hat.
Aber die Anzeige muss geschrieben werden. Muss. Ich will das. Die Vernehmung dauert lang und länger, denn ich will dass die Anzeige aufgeschrieben wird und ich will das und ich korrigiere den Oberwachtmeister Runge fortwährend, denn der Oberwachtmeister Runge verlässt wieder den Raum, der Oberwachtmeister Runge schreibt nicht, schweigt, keift, spottet, schweigt, schreibt nicht, schreibt dann Falsches, keift, schreibt wieder Falsches usf.
Der Oberwachtmeister Runge würde mich ganz gern und gleich hier aus Laune und Geneigtheit und vielleicht aus Übung in eine
vollgepisste Zelle schmeißen. Ich muss ihm bloß einen kleinen Anlass geben. Ich will ihm keinen geben. Das merkt er seit dem ersten Moment und so hat er alle Macht. Er ist der Kellergott in der obersten Etage, er ist der große Staatsmufti weitweit über dem kleinen verprügelten Einzeljuden und das ist jetzt seine Nacht. Schlappmachen darf ich hier ja nicht.
Dieser Soundtrack zu einem Oberwachtmeister-Runge-Monolog zusammengeschnitten klingt so:
„Sie haben zu warten, bis Sie aufgerufen werden, ich hab hier noch andere Fälle zu bearbeiten. Na wo war das denn. Nein, die Lincolnstraße geht auf die Reeperbahn. Wie, auf der anderen Seite. Wo jetzt also. Ja, ja. Genau Nummer hundertsechzig oder Nummer sechzig? Wissen Sie nicht. Tja. Die Nummer 148 ist das. Wie, das wussten Sie nicht?
Ich weiß das. Da sind die beiden also mit Ihnen mitgegangen? Da sind Sie also mit den beiden ins Gespräch gekommen. Uhrzeit ist egal. Zwei Uhr vierzig? Ach was, zwei Uhr 20?! Was sagen Sie,
fünfundzwanzig? Ist ja nicht zu glauben. Und bis wohin sind die beiden mit Ihnen mitgegangen. Ab wo wollten sie Sie provozieren? Also, Sie zittern ja nicht gerade wie Espenlaub. Hat er
Sie denn nun lange gewürgt, ja? Bis Sie blau wurden? Wie, das wissen Sie nicht? Ja, ja. Wieso hat er Sie gewürgt, haben Sie ihn provoziert? Nein, Sie kriegen hier doch keine Vorzugsbehandlung, nur weil Sie Jude sind. Sind Sie Jude? Das ist ja keine Beleidigung, diese Frage. Wo sind Sie denn also mit den Beiden ins Gespräch gekommen. Ja, ja. - Also verdammt noch mal, ich kann auch anders!! Passt Ihnen hier was nicht?! Und wo sind die Beiden danach wohl hingegangen? Ach das haben Sie nicht gesehen. Ja, ja. Nein, es kann Sie kein Kollege mit bis zu Ihrer Haustür begleiten, so was ist nicht möglich, da könnte ja jeder kommen. Ach was, Gefahr. Wie, und das Messer in den Bauch in Frankfurt war auch der Herr Fuchs? Wenn Ihnen das hier nicht passt, können Sie ja auch zur Wache Mörkenstraße gehen, die ist gleich da hinten. Nei-en, ich weiß nicht, wie man von hier aus zum LKA kommt. Nei-en, es gibt hier keinen S-Bahn-Plan. Nein!! Gibt’s nicht. Ja, ja. Nein. Auf Wiedersehen.“
Als ich da auf diese Weise dem jungen Lokal-Apoll von Oberwachtmeister ausgeliefert bin und in den Pausen so unter meinem Hut dasitze, kriecht es mir ins Genick: Dass ich hier völlig allein bin, dass keiner die hundertfünfzig Meter bis zu meiner Haustür mitkommen wird, niemand. Dass das genau im Sinne der Nazis da draußen ist. Dass ich überhaupt froh sein darf, wenn mich dieser Ausbund von einem Überwachtmeister nicht gleich achtkantig rausschmeißt. Und dass ich gleich alleine vor diese Tür gehen muss, gleich, gleich nach da draußen, wo die Nazis auf mich warten werden.
Noch während ich so dasitze und diese Allmacht von ganz unten über mich ergehen lasse, überlege ich, wie ich jenseits der Prachttreppe möglichst ungesehen hinauskomme. Verschwinden, Schatten sein, und wie? Sofort nach rechts zur Seite zum Spielbudenplatz, denn der ist immens und unübersichtlich, nicht umsehen und bloß den Hut vorher abnehmen, damit sie wenigstens den Hut nicht sehen und mich vielleicht nicht sehen. Dicht an den Häusern bleiben. Wo ich denn nun hinwill? Bloß nicht nach Hause. Nicht einmal in die Richtung. Denn da warten die Nazis auf mich.
So sitze ich da.
Als ich nach draußen muss, als ich jetzt nach da draußen gehen muss, schiebe ich meine Brille irgendwie zusammen und frage einen anderen Polizisten über den Tresen, wie ich denn jetzt zum Landeskriminalamt komme. „Fahren Sie am besten mit der U3, Station St. Pauli bis oben zum Stadtpark, die fährt die ganze Nacht, dann die Hindenburgstraße bis zum LKA, ist nicht zu verfehlen“, sagt er. Ah ja. Das ist sie, die Auskunft, so tief unter der Würde des Oberwachtmeisters.
Als ich mich durch den Raum zur Treppe schiebe, überlege ich ganz schnell, ob es nichts Anderes gibt. Was? Wohin? Wen anrufen? Ich kann nirgendwohin, denn wer geht Nachts um halb vier ans Telefon? Wer würde die Tür öffnen? Selbst wenn: Ich würde ja jetzt keinem unter die Augen treten wollen, nicht mal mir selber. Ich will mich verkriechen - nein, ich will zum LKA, um diese Anzeige zur richtigen Anzeige zu machen, um mich zu wehren, um es nicht sein zu lassen, um mich jetzt nicht zu verkriechen, um mir Verbrecherfotos anzusehen und um den anderen Nazi zu identifizieren, den mit den Strähnenhaaren, erst danach will ich mich verkriechen. Die Prachttreppe nach unten, da, das Portal, da muss ich jetzt hinaus. Da jetzt hinaus usf.
Ich warte ab, bis eine Gruppe Menschen die Portalflügel aufschiebt. Szenegänger, betrunken, sie drehen sich umeinander, ich diffundiere durch, manche stehen draußen, das gibt mir Hintergrund, ich dränge mich unter sie hinaus. Der Hut ist ab, die Seemannsjacke ist schwarz, man sieht mich kaum. Durch die Gruppe fünf Schritte hin und durch, und durch die nächste im selben Schritt wie sie, durch noch eine, jetzt bin ich als Schatten im Schatten am St. Paulitheater unter den Touristen und dahinter, geradeaus, verschwunden, nicht aufgefallen, gehe im Dunkeln. Bleibe im Dunkeln, falle nicht auf. Der Spielbudenplatz ist weit und weiter, er dehnt sich immens als Bühne ohne Zuschauer unter all der Nacht. Da oben in der Fürstenloge wohnt jemand, eine unglückliche Erinnerung wohnt da, ein großes Leid, eine fehlgegangene Sehnsucht wohnt da, eine Tigerin wohnt da. Für die Tigerin habe ich geglüht. Ich will nicht daran denken. Ich schleiche als Stück Schatten im Schatten vorbei und denke nicht an die Tigerin. Die mir im Vorjahr, als mich der Nazi in meiner Straße terrorisierte, so große Dinge sagte. Sie sagte sehr große und größer werdende Dinge zu mir und ihre Haare wehten, stürmende Dinge mit vollem Wortmund sagte sie, so Dinge über
Antifa und gegen die Nazis Vorgehen und an denen Dranbleiben und so Dinge darüber, wer sie sich denn
vornehmen könnte, würde, sollte, müsste. Und dann sagte sie, dass die ja auch
Rechte hätten, übrigens, sagte sie. Dass die Rechte hätten und dass nicht jemand einfach gegen die usf. Auch von
Wir sprach sie. Wen meinte sie nur? Wir bleiben dran, sagte sie und mehr sagte sie im Plural mit Zimbeln und Posaunen, wehende Haare, unbesiegbar. Ich sagte immer weniger. Sie war den Nazis und mir so berghochhäusig dachüberlegen, so wie Wagners Windstoßfrisur kosmisch über den dünnen grauen Strähnen vom armen Meyerbeer im Glanze webt und weht. Ich wollte es so gerne nicht ahnen. Ich wollte so gerne gar nichts ahnen. Ich ahnte es ja kaum. Ich wollte so sehr die Tigerin. Ich wollte vielleicht nie jemanden so sehr wie die Tigerin. Ich bekam die Tigerin nicht. Aber ich denke ja jetzt nicht daran, denn ich habe ja jetzt zu tun, um das hier einigermaßen zu überleben.
Als Schatten komme ich jetzt zur U-Bahnstation, die Treppe ist schlimm hell aber keiner ist da, ich husche auf den Bahnsteig, nur paar Touristen, auf dem Leuchtschild flimmert
„U 3 in 18 Minuten“, ich husche hinter Touristen und denke jetzt achtzehn Minuten nicht daran, wer wann was Großes sagte und wie unfassbar gerne ich usf. Weil ich nicht daran denken will, dass man im Fall der Fälle auf jeden Fall klein und meyerbeerig und alleine ist und es bleibt. Denn ich muss doch aufpassen. Schlappmachen darf ich hier ja nicht.
Das LKA sieht aus wie Gotham City ganz aus Glas unter der Nacht. Drinnen rede ich mit dem Kriminalkommissar Rautenberg und sehe mir 1464 Verbrecherfotos an. 1464 Gesichter sehen darauf alle gleich und alle gleich frontal und alle gleich unerbittlich aus – und alle völlig gleich sehen sie aus. Immer das selbe Gesicht. Der Kriminalkommissar zeigt mir einen Bogen nach dem anderen. Er ist angenehm und sachlich, kennt sich aus, stellt mir die richtigen Fragen. Ich fühle mich zum ersten Mal wieder fast als Mensch.
Als Schatten und Stunden später komme ich in Richtung meiner Straße. Es ist schon hell, als ich von hinten durch die Winkel schleiche. Da ist das Haus. Lauert jemand? Nein, keiner. Sicher bin ich nicht. Bis ich durch die Haustür stürze und diesen Bericht schreibe: Es ist der 15. September 2007 fünf vor halb sieben am Morgen und ich stürze durch die Haustür...
Aller Anfang ist schwer, häufig unappetitlich und leider oft gar ekelhaft oder äußerst widerlich - so pflegte man zu Adams Zeiten zu sagen. Da hatte man wohl Recht. À propos, das hier grad eben war ja erst der Anfang dieser Sache. Weiter ging es
in drei Verhandlungen vor dem Amtsgericht und dann in zwei Hauptverhandlungen vor dem Landgericht. Es zog sich über das ganze Jahr 2008
hin. Wobei es da dauerhaft überaus gehäuft unappetitlich und dauerhaft gar überaus ekelhaft
widerlich zuging.
Vielleicht schreibe ich etwas darüber? Ja muss ich denn? Noch ca. drei oder vier weitere Texte
ähnlich wie der letzte, bei denen es einem wegen all dieser weiteren und weiteren Unappetitlichkeiten, Widerlichkeiten usf. nochmal schlecht wird - meinen Sie denn, dass das nötig wäre?, denken Sie denn, dass Sie das wirklich lesen möchten? Nein oder nein, oder lieber doch nicht?
Vielleicht schreibe ich wider Erwarten irgendwann doch noch etwas darüber - etwa einen Text über all diese Gerichtsekelhaftigkeiten en général.
Einen nur, denn ein einziger müsste dem dunklen Drange nach noch mehr widerlichen und nach noch widerlicheren Widerlichkeiten eigentlich genügen.
Bis dahin müssten Sie jedoch mit dem nächsten Text vorlieb nehmen. Der ist eine kurze Impression aus dem Gerichtssaal, ein innerer Monolog desjenigen Nazi-Anwalts, der erstens diese Ehre sicher nicht verdient hat, und der zweitens dorten real und fast so wie in dem Text agierte, agitierte und sich gerierte.
Diesen Text habe ich anno 2008 für einen Poetry-Slam geschrieben. Die Stilmittel hatte ich für diese Art der Vergnügung durchs Thema grad so noch zur Verfügung. Zum Durchlesen ist der Text eigentlich nicht so gedacht, mehr ist er zum Zuhören, denn er wird naturgemäß meist geschrieen wie am Spieß.
Lesen Sie ihn sich bitte viel zu schnell durch, denken Sie dabei an einen
fahrigen schmierigen geschniegelten scheußlichen Karrieristen ohne
Gewissen oder Geschmack und denken Sie sich so ein bestimmtes verkorkstes,
verkokstes Schreien, naturgemäß. Ja?
Vielleicht schreie ich ihn bald hierher als MP3. Bis dahin steht er hier eben als Text...
Hakon Hamann hat heute hirnfrei
(2008)
Tag auch. Ich bin Hakon Hamann der Anwalt und mir macht keiner was vor über fachgerechte Vollzugsplanung, obwohl ich schon wieder kaum geschlafen hab. Oder weniger. Egal, ich bin der Typ in Armani mit dem Pferdeschwanz und dem Mundwerk, bin der Star vor Gericht, in der Kanzlei und bei den Frauen, und ich kriege alles hoch und alles was ich will, und ich will alles. Ich heiße seit 38 Jahren Hakon Hamann der Anwalt, also immer schon, und mein Leben ist genauso wie es sich anhört, nämlich verdammt das LEBEN auch ohne Schlaf. Ich hab Geld und Frauen und Caipirinhas und Schnee so viel ich will, mir macht keiner was vor über fachgerechte Vollzugsplanung, ich bin auf der Überholspur seit den späten Achtzigern, immer hart an der Kante, naja Benzin ist natürlich verdammt teuer geworden, aber Hakon Hamann der Anwalt kann sich's leisten, die Karre macht mindestens 260/270, und gedrosselt läuft heute ja gar nichts mehr ab. So ist mein Leben.
Aber da ist etwas. Ich kann's mir nicht erklären. Denn wie ich an diesen hirnfreien Klienten gekommen bin, weiß ich nicht. Und wie heißt er doch gleich? Der Klient ist ja ein Loser. Dieter Dogge heißt er. Oder Volker Fuchs? Nein, er heißt Rainer Raabe. Oder Thomas Taub. Wie die eben hirnfrei so heißen. Halb Skinhead halb Penner halb Tankwart ist er, hat Runen am Hals und riecht nicht gut. Seine Klamotten sind scheiße, der macht nichts her, ist einer von den Losern aus einem dieser hirnfreien Stadtviertel mit Runen am Hals. Da ist nur die Kriechspur, und auf der bin ich doch nie gewesen.
Aber ich vertrete hier den Typen mit Runen von der Kriechspur und sitze hier mit dem mitten im Oberlandesgericht in der Hauptverhandlung. Ich, Hakon Hamann der Anwalt. Wie ist das passiert? Ich vertrete den hier vor der ganzen Presse und den Frauen und so. Was für eine hirnfreie Scheiße. Kann's mir nicht erklären. Hakon Hamann der Anwalt vertritt doch keine Loser, der vertritt Freiberufler, Dealer, Fußballer, Großschlachter, E-Commerce, Mörder, Autohändler, Überholspur und so. Aber keine Loser.
Und da ist noch was. Das fällt mir jetzt ein, jetzt mitten im Oberlandesgericht in der Hauptverhandlung. Dass ich heute Nacht diesen Traum hatte wie jede Nacht. Von dieser Ente, die wie Daffy Duck aussieht. Aber riesig ist die. Riesiger als sieben Oberlandesgerichte übereinander. Und schwarz. Die hat eine Wackel-Schublade auf dem Rücken mit einem Foto drin von Daffy Duck, der eine Wackel-Schublade mit einem Schubladenentenfoto auf dem Rücken hat und so weiter. In dem Traum wackelt Daffy Duck immer näher, ganz schwarz ist der und solche Zähne hat der im Schnabel drin und der wackelt immer näher, SOLCHE Zähne und immer näher, und dann klappt der den Schnabel auf und stülpt den immer weiter auseinander und da sind diese ZÄHNE reihenweise und der wackelt immer näher und ich kann mich doch nicht rühren, ich bin doch ganz starr und kann mich nicht rühren, ich Hakon Hamann der Anwalt, und da wackelt Daffy Duck über mich drüber und dann haut Daffy Duck seine Zähne in meine Eier, und die Schublade auf seinem Rücken wackelt ganz furchtbar und reißt auf wie der Rachen vom schwarzen Entenhai, und ich seh mich auf dem Schubladenentenfoto in der Haischublade auf seinem Rücken wackeln, seh mich auf dem Entenfoto wie ich daliege und wackle und keine Eier mehr habe. AAARGHHH! - So träume ich das jede Nacht, und jedesmal ist Daffy Duck noch riesiger und noch schwärzer und noch mehr Oberlandesgericht und hat noch mehr Zähne, und am Ende hab ich keine Eier. Das kann ich doch keinem erzählen. Ich erzähle doch nur von meiner Kanzlei in Harvestehude und von meiner Yacht und von meinem Porsche und von meinen Frauen. Hakon Hamann der Anwalt schläft zwar nicht mehr, aber er macht sich doch nicht lächerlich und erzählt von Daffy Duck. Deshalb vergesse ich Daffy Duck immer ganz schnell. Ich scher einfach hirnfrei weit aus, schon wenn ich aus dem fehlgeschalteten Traum hochschrecke scher ich aus, hirnfrei und bis ganz rüber und bis ganz weit auf die Überholspur, und da vergesse ich den Traum oder so und hab wieder meine Eier und vielleicht mein Hirn und mein Leben oder so, und meine Yacht oder meine Frauen.
Die Richterin sagt jetzt was und Dieter Dogge oder Martin Maus sagt auch was, irgendwas Hirnfreies sagen die, aber ich hab doch grad zu tun, ich muss hier grad mal kurz Daffy Duck vergessen, der mir an die Eier will. Ich denke dran, dass ich früher mal Türsteher auf der Reeperbahn war. Vor dem Jurastudium in Californien. Da ging die Überholspur los. Bei der Türsteherei auf der Reeperbahn und in Californien. MeinGOTT gab das da SCHNEE. Jetzt bin ich Hakon Hamann der Anwalt, dem keiner was vormacht über fachgerechte Vollzugsplanung. Aber da sind diese - diese hirnfreien Ententräume. Und die Richterin und der Typ neben mir sagen jetzt was Lautes und Hirnfreies. Nein, wirklich Ententräume sind das ja nicht, sind sie ja nicht, die sind zu hirnfrei. Übrigens, wie bin ich jetzt an diesen Losertypen von Klient gekommen? Dieser Klient. Der brüllt jetzt. Aber ich hab hier grad mal kurz was Anderes zu tun. Na ich hab ja schon während des Studiums ein paar schwere Jungs über fachgerechte Vollzugsplanung beraten, das ergab sich so. Auf der Reeperbahn. Und dann in Californien. Der ganze SCHNEE da, oh mein GOTT. Aber so hirnfreie Loser, nein, mit denen hatte ich nichts zu tun, das ist nicht gut für den Ruf wegen Kriechspur, Losern, Enten, hirnfrei, Fehlschaltungen und so was.
Jetzt kommt es mir aber langsam komisch vor. Der Typ brüllt nun ganz hirnfrei, die Richterin brüllt nun auch und der Staatsanwalt brüllt noch hirnfreier, die lenken mich ab, nee, so kann doch kein Mensch kurz mal nachdenken, was für hirnfreie Entgleisungen, voll fehlgeschaltet, die Sache stinkt doch, Frau Richterin. Die haben sich ja überhaupt nicht unter Kontrolle. Komplett hirnfrei und fehlgeschaltet sind die. Wie entgleist der Typ zu den Zeugen rumbrüllt, "Juuudensau!!" brüllt der zu den Zeugen und "ab ins Gas, Juuudensau!!", und wie hirnfrei die Richterin jetzt rumbrüllt, voll fehlgeschaltet und das knackt und wackelt irgendwie, und wie jetzt die Polizisten rennen, so viele entgleiste Polizisten, das stinkt doch alles Frau Richterin, ich hab hier doch grad mal kurz was Anderes zu tun, die sollen sich mal alle nicht so haben, Daffy Duck kommt angewackelt, wie hirnfrei, und ich muss den vergessen, DAS ist Arbeit kann ich Ihnen sagen Frau Richterin, das ist so voll hirnfrei und das können Sie sich gar nicht vorstellen, wie viel voll hirnfreie ARBEIT und wie fehlgeschaltet das so auf der Überholspur ist, Türsteher und es knackt und wackelt und in Californien war ich und meine Yacht ist halb angezahlt und es wackelt drin und die hab ich in der Schublade Frau Richterin, auch die Entgleisungen, echt hirnfrei, und die Porscheraten wackeln und die verfallen alle wenn ich den Fall hier in den Sand setze, denn dann sind die Raten weg und die Hypothek auf die Kanzlei und auch der Rest und ich selber auch, und dann kommt Daffy Duck gewackelt und beißt mir hirnfrei die Eier ab, verstehen Sie das denn nicht Frau Richterin, verstehen Sie das denn nicht Frau Richterin, verstehen Sie das denn nicht Frau Richterin, JA WIESO VERSTEHEN SIE DAS DENN NICHT FRAU RICHTERIN, HÄ?!
Die hergelaufensten Gerüchte über das Judentum...
Über ein schlimmes neues Buch: "Die schönsten Gotteshäuser des Judentums,
Synagogen"
(2008)
Offensichtlich ganz ohne Bedenken und seiner selbst gewiss publiziert der Verlag Hohe GmbH aus Erftstadt den 144seitigen, recht prächtig aufgemachten Bild- und Textband im Großformat
"Die schönsten Gotteshäuser des Judentums, Synagogen" der Autorin Sylvia Winnewisser (14,95 €). Der günstige Preis und die farbenprächtige
auffällige Ausstattung sollen zum schnellen Kauf und zum Verschenken anreizen.
Dieses Buch steckt randvoll mit gröbsten Fehlern über das Judentum und die jüdische Geschichte. Dabei wirkt der Text bemerkenswert gut gemeint und ist extrem simpel geschrieben. Was ist mit dieser Kombination beabsichtigt? Diese Vermischung aus vordergründig projüdischer Freundlichkeit, Einfältigkeit des Stils, Unwissenheit und Tradierung kleiner und größerer Antisemitismen zwischen den Zeilen ist verdächtig.
Das Buch wird vom Verlag eitel, verblasen und vollmundig wie folgt beworben:
"Eindrucksvolle Architekturfotos und kenntnisreiche Texte zu Geschichte und Besonderheiten der einzelnen Bauwerke stellen die schönsten jüdischen Gotteshäuser und Kultbauten mit ihrer tiefen sozialen Bedeutung vor. Dieser kompetent geschriebene, außergewöhnliche Bildband ist eine Fundgrube für Wissbegierige wie für
Augenmenschen."
Von Kompetenz oder nur ein bisschen Sachkenntnis ist jedoch nichts zu finden. Die Architekturfotos mögen für sich stehen. Der Text ist allerdings nichts als eine Fundgrube für Verzerrungen, historische Auslassungen und Ammenmärchen von Reichtum,
Geschäftstüchtigkeit und Anderssein der Juden.
Peinlich, wenn ein Autor über sein Thema so unglaublich wenig weiß und trotzdem
den Leuten mitteilen will, wie gut er es meint. Natürlich wäre es peinlich, etwa ein Buch mit dem Titel
"Der netteste Fingersport - Fußball" zu schreiben. Es sei denn, man will Satire. Ein Buch mit dem Titel
"Das feinste Röstbohnengetränk - der Tee" wäre gleichfalls ziemlich peinlich. Es sei denn, man will Dadaismus. Aber hier geht's um ein Buch mit dem Titel
"Die schönsten Gotteshäuser des Judentums, Synagogen". Oh.
Wem fällt es auf, was da nicht stimmt?
Also: Man könnte ein Buch mit dem seltsamen Titel "Die bestbeheizten Friedhöfe der Menschheit -
Kirchen" schreiben. In den meisten alten Kirchen sind mehr Menschen beerdigt als lebende hineinpassen. Unter dem Fußboden der Pantheon-Kirche in Rom sollen sogar 60 oder 600 Wagenladungen Knochen liegen. Trotzdem würde man ein ernstgemeintes Buch nicht so nennen. Es ist zwar eine Tatsache, dass man in vielen Kirchen nur wenige Zentimeter über Lagen von Menschenknochen umhergeht,
doch dieser Titel wäre reißerisch und etwas dämlich. Kirchen sind Trotz der ganzen Knochen eben keine Friedhöfe.
Nun kommt dieser Verlag Hohe aus dem schönen Ort Erftstadt und lässt die Autorin Sylvia Winnewisser in ganz großer Großschrift behaupten, dass Synagogen "Gotteshäuser" seien.
Nein, das stimmt so wenig, wie Kirchen Friedhöfe sind.
Um das zu wissen, muss man nicht einmal Fachliteratur gelesen oder mal bei einer jüdischen Gemeinde angerufen haben. Es genügt, einen kurzen Lexikonartikel über Synagogen (etwa in Joachim Schoeps' "Neues Lexikon des Judentums") zu überfliegen, um zu erfahren, was eine Synagoge ist und was sie nicht ist. Oder mal ganz kurz im Internet bei Wikipedia nachzulesen.
Auf die Idee kommt aber einer wohl nur, sofern er weiß, noch nicht alles zu wissen. Und
sofern seine Absicht ehrlich ist.
Um diese Sache mit Synagogen und Gotteshäusern zu erklären: Das Judentum kannte nur ein einziges Gotteshaus: Den Jerusalemer Tempel, errichtet von Schlomo ha'Melech (König Salomon), zerstört von den Babyloniern, wiedererrichtet wohl unter den Propheten Esra und Nechemiah, zuletzt zerstört von den Römern im Jahr 70. Nach der Überlieferung wohnte nur in diesem einen heiligen Ort die Schechinah (hebr. Einwohnung G"ttes), und demnach war der Jerusalemer Tempel
jüdischerseits das einzige Gotteshaus jemals.
Die Frage, ob die Schechinah auch nach der Zerstörung des Tempels örtlich gebunden auf dem Zionsberg wirkt, wird von manchen Gelehrten bejaht, von anderen verneint. Einig ist man sich in den verschiedenen Richtungen des Judentums nur darüber, dass die Einwohnung G"ttes seit der Zerstörung des Tempels nicht mehr primär ortsgebunden stattfindet, sondern dass G"tt seitdem (wohl) in den Buchstaben der Torahrollen anwesend ist, dem Schatz jeder jüdischen Gemeinde.
Synagogen sind also keine Gotteshäuser, also keine heiligen Gebäude. Heilig ist im Judentum einzig G"tt.
Eine Synagoge hat drei Qualitäten: Bejt ha'Tefilah, bejt ha'midrasch, bejt ha'knesset: Haus des Gebets, Haus des Lernens, Haus der Versammlung.
Kein Jude käme auf die Idee, dass eine Synagoge darüber hinaus "ein Gotteshaus" sei. Darin sind sich die Richtungen des Judentums bei aller sonstigen Verschiedenheit einig.
Nur denken leider manche Christen bei Synagogen an "Gotteshäuser". Wohl aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit, und weil es sich schön herzig und sentimental anhört zu behaupten, dass auch die Juden sowas haben, und weil es immer einfacher ist, nicht nachzufragen. Denn es ist am allereinfachsten, zu meinen, dass das, was für einen selber gelte, auch für die Juden gelten müsse. Umdeutung und Verdrehung des Anderen im eigenen Sinne ist jedoch bekanntlich ein Teil der Strategie zur Missionierung. Weil man auf die Art bestimmt ein paar Dumme findet, die's glauben.
Ich hatte bei der gestrigen Lektüre dieses Buchs fast vor, die vielen beschämenden Fehler zu zitieren und bei jedem zu erklären, was falsch ist. Aber damit würde die Stellungnahme länger als das Buch. Das hat keinen Sinn. Zumal es ja längst verkauft wird. Ich hoffe, dass kein Leser glauben möge, der Inhalt sei richtig - oder womöglich richtig jüdisch.
Deshalb hier etwas wahllos ein paar der gröbsten und ärgerlichsten Fehler:
"ein Kantor, der... die Gemeinde beim Gebet vor Gott vertritt" (S.10)
Das ist großer Unfug. Der Kantor leitet gesanglich den G"ttesdienst, weil er sich in den Texten und Melodien auskennt, das ist alles. Die jüdische Auffassung vom Gebet und von der Erfüllung der Mizwot, der 613 Gebote und Verbote, ist individualistisch geprägt. Damit ist jeder Einzelne für seine Dinge verantwortlich. Der Einzelne kann also nicht vor G"tt durch jemand Anderen vertreten werden. Vertretung vor G"tt, Priestertum oder eine kollektive Erlösung so wie im Christentum gibt es im Judentum nicht.
Das Schm'a, eines der zentralsten Gebete der Juden, beginnt mit der Zeile "Schm'a Jissroel, Adonoi Eloheinu, Adonoi Echad" - höre, Israel, G"tt ist der Ewige, G"tt ist einzig. In traditionellen Gemeinden sagt das jeder mehr für sich, in reformierten Gemeinden spricht man es mehr gemeinsam. Die Zeile richtet sich an "Israel", gemeint damit ist jedes Individuum, das zum
Volk Israel gehört. Eine Vertretung für den Einzelnen findet nicht statt. Das wäre kein jüdisches Konzept.
"Als einzige bestehende jüdische Gemeinde in Kerala halten sie auch noch Andachten in der Synagoge ab, obwohl es keinen Rabbiner mehr
gibt." (S.121)
Das beruht auf dem gleichen Fehlverständnis. Der Satz suggeriert durch das verwunderte
"auch noch" sowie durch das Verknüpfungswort "obwohl", dass Andachten in der Synagoge von der Anwesenheit eines Rabbiners abhängen müssten. Falsch. Es liegt wohl wieder an dem katholischen (?) Vorverständnis der Autorin. Der Rabbiner hat im Synagogengottesdienst keine Funktion als Rabbiner. Es ist schön, wenn er mit anwesend ist, und er kann natürlich als Schaliach Zibbur (Vorbeter) oder als Vorsänger fungieren oder aus der Torah lesen. Der Rabbiner ist jedoch weder Geistlicher noch Priester, denn beides gibt es im Judentum seit dem Ende des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 nicht mehr. Also darf und soll jedes Gemeindemitglied den Gottesdienst leiten, sofern es das kann und sofern es das Vertrauen der Gemeinde genießt.
"Der Legende nach soll Königin Anne... einen Holzbalken... für den Bau der Synagoge gespendet haben. Dieser Umstand, auch aus anderen Städten bekannt, war nicht ungewöhnlich angesichts des Reichtums der
Juden." (S.17)
Schon logisch ist der Satz nicht zu verstehen. Inwiefern ist es nicht ungewöhnlich, Reichen einen Balken zu spenden? Aber das ist nicht wichtig, denn die Autorin suggeriert, dass Juden
"Reichtum" besäßen. "Angesichts", demnach soll es ganz offensichtlich sein, dass die Juden "Reichtum" hätten - jeder wisse das. So suggeriert es die Passage.
Es ist ein übles, leider immer noch weit verbreitetes Vorurteil, dass Juden reich, geschäftstüchtig und schlau seien und dass sie eine besondere Verbindung
zu Herrschern hätten. Laut Umfragen glaubt derlei heute noch weit mehr als die Hälfte der Deutschen. Dahinter steht die Vorstellung, dass Juden erstens anders, zweitens überlegen, drittens verdächtig seien.
Vielleicht steht in der Passage nur diffuser Antisemitismus. Aber es ist welcher.
"Florenz im Jahr 1437... die Juden... nicht zuletzt schätzte man sie, wie in anderen Städten, wegen ihres Reichtums und ihres guten Geschäftssinnes. Jedoch waren sie auch hier nie gleichberechtigt mit der einheimischen Bevölkerung." (S.100)
Wieder das Selbe. Diesmal ist es noch etwas infamer formuliert. Übrigens ist der Satz heuchlerisch - denn mögen die Leute real vielleicht einen leiden, den sie für einen reichen Schieber halten und dem sie nicht sie gleichen Rechte gönnen?
Ferner konstruiert die Autorin unter der Hand einen Gegensatz zwischen Juden und der "einheimischen Bevölkerung" - suggerierend, dass Juden eben nicht zur einheimischen Bevölkerung gehörten. In extremer Konsequenz ausgedrückt würde das lauten: "Ein Jude kann kein Florentiner oder Deutscher sein". Dass Juden keine Deutschen sein könnten, galt ab 1935 in den Nürnberger Gesetzen.
"...erhielten auch die Juden in Rom ihre Freiheit und die Bürgerrechte wie ihre italienischen
Mitmenschen." (S.104)
Die römischen Juden waren also keine "italienischen Mitmenschen", sondern Juden. Gemäß dem Satz waren sie wohl nichtmal Mitmenschen. Denn da steht ein Gegensatzpaar
"Juden - italienische Mitmenschen". Folglich ist man entweder das Eine oder das Andere.
- Was will die Autorin damit mitteilen? Dass sie dumm ist oder keine Ahnung hat? Nein, es ist schlimmer und trauriger, denn sie meint es offensichtlich einfach bloß gut mit den Juden. Sie meint es so doof und so gut, wie die immer noch ab und zu gehörte, joviale und so nette, ja nachgerade philosemitische Anrede "Liebe jüdische Mitbürger" echt gut gemeint ist. Zum Fürchten gut gemeint.
"In Polen waren die geschäftstüchtigen Juden wie in anderen Städten bei den Adeligen und dem König
beliebt." (S.52)
Wieder die Suggestion, dass Juden so besonders geschäftstüchtig und dass sie besonders mit den Herrschern verbunden seien. Und wie überaus beliebt immer...
Ist das Gerücht über die Juden nun beabsichtigt?, ist es nur ein bisschen beschränktes Geschwätz?, oder hat die Autorin die zumindest halbbewusste Absicht zu behaupten, man habe die Juden in Polen gehätschelt, weil sie so gerissene Geschäftemacher seien?
Die Adeligen. Die rissen sich bekanntlich um ihre beliebten Juden. Es gab ja dort keine diskriminierenden Verordnungen, keinen kirchlich und staatlich organisierten Antisemitismus, keine Austreibungen, keine inszenierten Pogrome. Hundepeitschen, mit denen man jüdische Kleinhändler vom Schlosshof jagen ließ, ach die gab es auch nicht. Weil die "geschäftstüchtigen" Juden viel zu "beliebt" dafür waren.
"Nach der Reconquista... Die neuen christlichen Herrscher zeigten sich tolerant gegenüber den Juden. Sie fanden Gefallen an der arabischen Sprache und Kultur und dem
Baustil..." (S.78)
Absoluter Unfug. Diese neuen christlichen Herrscher Spaniens haben 1492 nach der Reconquista die Juden sofort mit großer Grausamkeit verfolgen lassen. Wer nicht sein Judentum aufgeben wollte, wurde gefoltert, vertrieben, verbrannt oder gleich erschlagen. Auch Zwangsbekehrte, die Marranos, hat man dann trotzdem noch gequält oder umgebracht, selbst nach mehreren Generationen. Inquisition, königliche Beamte und Denunzianten schnüffelten im 16. Jahrhundert überall nach Juden und nach denen, die sie dafür hielten. Dieser rassisch argumentierende, eliminatorische Antisemitismus war fast moderner Prägung. Schon bald wurde ganz Spanien immer judenfreier. Übrigens wurde es auch araberfrei - denn Muslime wurden genauso verfolgt und ausgemordet wie Juden.
Dieses Inferno verklärt und verdreht die Autorin mit der Floskel: "Sie zeigten sich tolerant... und fanden
Gefallen". Was ist das: Die totale Ignoranz, die totale Unkenntnis oder Absicht?
"Der Tempel Emanu-El hat den Zweiten Weltkrieg gut überstanden und dient der jüdischen Reformgemeinde New Yorks noch heute als Gotteshaus und
Versammlungsort." (S.137)
Vielleicht ist es doch nur eine unendliche, durch nichts zu beirrende Naivität. Wenngleich die Wirkung durch die womöglich fehlende böse Absicht nicht aufgehoben wird, denn diese Dinge stehen da gedruckt. Rührend ist die Suggestion sicher, dass ein New Yorker Gebäude durch den zweiten Weltkrieg hätte gefährdet sein sollen. Ach ja, ein jüdisches Gotteshaus. Da steht es wieder, wie so oft. Wer's glaubt?
Hier ein letzter Satz, der dem Fass die Krone ins Gesicht usf.:
"Die Geschichte der Juden in Jerusalem geht bis auf vorchristliche Zeiten zurück." (S.112)
Ja? Da waren in "vorchristlichen Zeiten" wirklich "Juden in Jerusalem"? Kaum zu glauben. Wo König Schaul herrschte, wo König David Recht sprach,
Fehler machte, dichtete und musizierte, wo König Salomon den Tempel errichtete, da soll es in "vorchristlichen Zeiten" ein bisschen jüdische Geschichte gegeben haben? Da, wo die Propheten Esra und Nechemiah nach dem ersten Exil die Religion demokratisierten, forschten und schrieben und wo Juden später im Krieg die hellenisierten Syrer besiegt haben, soll in "vorchristlichen Zeiten" irgendwas Jüdisches los gewesen sein? Da hatte man ja nix von geahnt.
"Dieses Buch wurde sorgfältig zusammengestellt" (S.13)
Nachtigall, ick hör dir zusammenstellen.
Unwissenheit und Desinteresse gegenüber dem Judentum sind im deutschsprachigen Publikum leider weit verbreitet und sitzen tief. Auf diesem Nährboden gedeihen Antisemitismus und Antizionismus - beide sind Gefahren und beide werden stärker. In dem Zusammenhang ist solch ein lachhaftes Buch bestürzend: Da werden superleicht konsumierbare, supersimple Texte angeboten, die sich im Halbschlaf überfliegen lassen. Warum - damit man die groteske Fehlerhaftigkeit und den antisemitischen Gehalt nicht so bemerkt?
Nichts Gutes ist daran. Das Buch, das vordergründig seine Leser für Synagogen interessieren möchte, fördert Ignoranz, bestärkt allerlei Unsinnsurteile, reproduziert vorgefasste Meinungen, vernebelt Fakten, suggeriert Unfug, und es tradiert die alte Gerüchteküche über die Juden.
Auffällig, dass Autorin, Lektoren und Verlag sich offensichtlich nirgendwo kundig machen wollten. Man könnte etwa bei der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg oder beim Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam anrufen, wenn man ein Buch über Synagogen publizieren will. Man hätte auch bei einer jüdischen Gemeinde, bei Talmud.de oder bei HaGalil.com nachfragen können. Das sind Institutionen, auf die man ganz leicht kommt, sofern man ehrliches Interesse hat.
Falls man aber keines hat, sondern auf 144 Seiten verdeckt über Juden stänkern möchte, dann macht man es so wie die Autorin und ihr Verlag.
Die Hamburger Reeperbahn am Sonntag den 29. Juni 2008 um 19:20
(2008)
Man sollte nur noch Gedichte machen. Doch, sollte man. Denn das baut einen auf. Denn dieser Tage reden und schreien und johlen alle über, von und beim Fußball. Nein anders herum: Sie schreien und johlen erst viel und dann reden sie ein bisschen, und nur über Fußball, immer über Fußball und nie über Gedichte. Auf der Straße, im Radio, beim Einkaufen, beim Friseur, Tags und Nachts und überhaupt geht's ihnen nur beim, vom und über den Fußball über Fußball, sie schreien und reden und johlen nur darüber.
Einer aber nicht. Der Eine bin ich. Ich verstehe von Gedichten ein Bisschen, vom Reden mehr, vom Schreien weniger, jedoch von Fußball verstehe ich
überhaupt nichts. Weniger als überhaupt gar nichts. Fußball, das ist ein Irgendwas, das ist ein Ding von jenseits, das ist Quasilärm auf der Rückseite des Mondes, das ist Warpgeräusch aus einem Ufo, wenn überhaupt. Davon verstehe ich absolut nichts, nein, überhaupt absolut gar nichts und noch weniger, ich erwähnte es schon. Worum's da geht, was das da soll, worüber die Leute da so schreien und warum sie das immer fernsehen und dazu schreien und johlen, alle außer mir, ich verstehe es nicht warum sie so aussehen, warum sie in dem Zustand sind, warum sie sich in Gruppen vor dem Fernseher betrinken und manchmal gemeinsam so schreien, warum
sie mit diesen Farben und diesen billigen T-Shirts mit was drauf herumrennen, warum sie das tun, was sie tun, alle, das verstehe ich nicht oder aus welchem Ufo sie warum hervorgequollen sind und was das soll.
Wahrscheinlich ist es aber umgekehrt. Das ist das Volk - und ich bin der aus dem Ufo. So wäre es demokratisch.
Zum Beispiel Gedichtemachen oder Zeitunglesen. Der Rabbiner hat gerade gemailt, man möge sich die FAZ-Sonntagsausgabe wegen eines bestimmten Artikels kaufen. Warum nicht. Vielleicht johlen und schreien die Leute dort etwas weniger, wo es die
Zeitung gibt, denn hier ist es kaum zum Aushalten, das Gedichtemachen geht nicht mehr. Fünf Gedichte zu machen ging, aber jetzt ist Schluss. Ich verlasse das Haus, um die fünfzig Meter zur Reeperbahn zu gehen, da ist ein Zeitungsstand. Ab der Ecke steckt dort alles knallvoll mit Menschen, die johlen, schreien, sich drängen usf. Man wird taub, man kann sich kaum durchquetschen. An dieser Ecke Reeperbahn baue ich mich hinter einem dicken gelben Postkasten auf und versuche die Sache anzusehen. Was für ein falscher Film ist das? Da sind ja
Menschen, tausende und zigtausende, es hört gar nicht auf, hier gibt es ja nichts Anderes außer Menschen. Die Trottoirs und die vier Fahrspuren sind in voller Breite und in voller Länge ihrer neunhundert Meter von Zigtausenden vollgequetscht. Neunhundert Meter
Avenue sind eigentlich verdammt viel Avenue, hatte ich gedacht. Aber diesen Massen reicht das längst nicht. Was tun die? Die tun nur eins in Tateinheit: Die lungern, drängeln, feiern und johlen im Einheits-Look, alle gleich mit diesen T-Shirts mit was drauf, Schwarzrotgold weht und wabert um Schultern und Köpfe, die alle gleich sind, inflationär, Zigtausende gleich. Und der Lärm. Wie aus hundert Bass-Boxen, und die nächste ist gleich hier in diesem dicken gelben Postkasten vor meinem Bauch.
Es ist ein nationaler Lärm, soviel verstehe ich grad noch. Es ist weder Party noch Demonstration noch irgendwas sonst Bekanntes. Es ist mehr etwas aus der Hölle, es geht um nichts, nämlich um's Große Wir aus dem Bauch. Gruppen schweifen durch andere Gruppen herum, Gleiche in Gleichen, sie stoßen mitten im allgemeinen nationalen Lärm hier und da und überall
"Deuschlantt!!"- Laute aus dem Bauch aus. Die Menschen wirken alle gleich, unterschiedslos durch diese T-Shirts und überhaupt durch Klamotten, Habitus, Gesten und Verhalten, es sind Massen von zigtausend Gleichen. So etwas habe ich noch nie gesehen. So etwas kenne ich nur aus Alpträumen und alten Wochenschauen.
Ich will doch nur diese Zeitung kaufen gehen. Ich lehne hier hinter dem Postkasten, aber falle
bereits als Einzelner auf, denn alle außer mir tragen Farben und sind in vollem Wichs mit Lametta, wie man vor hundert Jahren gesagt hat - also dränge ich mich so weit an der Seite durch wie es geht, werde halb und schief angesehen, schwitze als einzelner Alien unter unzähligen Massen gleicher Art, massenhafter Art, deutscher Art. Der Satz "es kocht die Party-Volksseele wie ein Reichsparteitag" drängt sich auf. Er ist natürlich Unsinn: Weil der Reichsparteitag nun mal keine Party gewesen ist. Nicht ganz jedenfalls. Diese heutige Sonntagsparty hat jedoch viel von einem Reichsparteitag, in ihren Uniformen, Lametta, Lauten und ihrer grölenden Ungebremstheit - allein der Führer glänzt durch Abwesenheit.
Oder ist das nur meine ignorante, zu paranoide, zu pessimistische Wahrnehmung oder Laune? Denn es könnte ja ein Irrtum sein. Weil spontane Nazivergleiche billig sind. Ein paar Leute einfach zu fragen, was sie hier eigentlich machen, will ich aber nicht riskieren. Sie werden wohl bloß Party, aber bloß nichts Politisches damit meinen, sie werden wohl bei Fußball, Party, Bier und Johlerei keinen halben Gedanken an etwas Anderes haben. Hoffe ich. Was empfinden die also Unpolitischen? Wenn man sie fragte, würden die Leute wohl nicht ernsthaft antworten, dass sie ein anderes Land überfallen oder einen völkischen Staat gründen wollen. Denn sie wissen gar nicht, was ein völkischer Staat oder die Volksgemeinschaft sind. Nicht? Oder wie man denn auf diese Assoziationen kommt.
Sofern sie das wüssten, würden sie sich nicht so verhalten. Sie feiern assoziationslos in Uniformen, unter Nationalbannern und identitätsstiftendem Gejohle ihre unpolitische Party, so als wollten sie einen vergleichsweise bunten, modernen und allein fußballerisch gemeinten Reichsparteitag nachstellen, ohne das wissen zu wollen.
In der Gegend um die Reeperbahn bin ich seit Langem zu Hause. Ich kenne Einwohner und Touristen, habe Stadtführungen gemacht, kenne Kneipen und Bars und die historischen Ecken, sitze da, schreibe da meine Texte usf. Alles ist weg. Jetzt herrscht nichts als der Durchschnitt des neudeutschen Großempfindens - der sich selbst erfüllende Wunsch, sich selber als Größtkollektiv zu feiern, auszugreifen und alles auszufüllen. Die Assoziationen liegen so nahe. Alles ist hier groß und noch größer, und am größten ist hier das deutsche Selbstempfinden. Auf Großbildschirmen flimmert das Hypermega-Fußballspiel der Großdeutschen gegen irgendwen. Alles geht um's Große Wir. Jeder fiebert mit, denkt und johlt das Stichwort
"das Spiel" und steckt im Großen Wir, jeder geht darin auf, jeder hat sich irgendwas Schwarzrotgoldenes umgehängt, aufgesetzt, angemalt. Diese Einheitlichkeit, Uniformierung, Schlachtordnung durchdringt alles. Sie erschlägt alles. Keine Maus kann sich hier verstecken. Keiner kann hier luftholen. Kein Einzelner darf hier sein. Die Leute gehen hier nicht als Individuen, sondern sie
dampfen als Teil der größten Großgruppe im kollektivdeutschen Großtaumel, weil nichts Anderes mehr existiert. Das volle Programm, die volle Dröhnung, der volle Horror.
Was wissen die Zigtausend darüber, dass diese schwarzrotgoldene Flagge kein regressives Schlachten-Johlbanner ist, bei dem man von sich selbst besoffen
"Schlantt!!" brüllt und nix mehr denken und nicht mehr man selbst sein muss, sondern dass sie als demokratisches Ideal der drei deutschen Rechtsstaaten von 1848, 1918 und 1948 gedacht ist? Das ist denen egal wie nur was. Sie wollen auch nichts über den mörderischen, schwarzweißroten Hass von 1933 auf
das republikanische, defätistische, westliche, zivilistische und verjudete Schwarzrotgold wissen. Denn es ist ja alles normal jetzt, Deutschland spielt Fußball, und da muss man über Stunden oder Wochen
"Deuschlantt!!"-Laute loswerden, Nationalspaßuniformen tragen, Wir sein und den Reichsadler nein Bundesadler schwenken. Die das tun, bedenken nicht, wer ab 1933 alles eingesperrt, verprügelt, gefoltert, exiliert oder umgebracht worden ist, eben weil er an dieser schwarzrotgoldenen Flagge und westlichen Weimarer Verfassung des Landes festhalten wollte.
Jene "Deuschlantt!!"- Laute aus den alten Wochenschauen und Hitlerreden und die gleichen Laute von NPD-Aufmärschen
von 2008 hören sich übrigens exakt gleich an wie das heutige Sonntagnachmittags-Partygebrüll des
uniformiert feiernden deutschen Mainstreams
ohne Raum auf den neunhundert Metern Reeperbahn. In Klang und Anmutung und vielleicht auch im seelischen Gehalt besteht kein Unterschied. Das weiß die NPD übrigens ganz genau.
Ob jedoch die Feiernden auf den Straßen das nicht wissen?
Wie denn nur kann man DAS nicht wissen?!??
Oder wissen sie das, und es stört sie nicht -?
Lieber drücke ich mich nun mit der zerknitterten Zeitung nach Hause, schließe Türen und Fenster, drehe den unsterblichen Elvis überlaut gegen die völlig Fremden und ihr Gejohle von da draußen und mache mich wieder an die
Gedichte. Denn man kriegt bloß Paranoia und Fluchtbedürfnisse, wenn man sich zuviel oder zu lange oder zu sinnlos mit der dampfenden deutschen Straße im nationalen Partysommer beschäftigt.
Herr Warschawski hat eine Mauer an Stelle seines Frontallappens
(2004)
(Geschrieben
nach einer Veranstaltung mit dem linken Dogmatiker, Polemiker und
natürlich Israelkritiker Michel Warschawski unter lauter so netten linken
deutschen Israel'kritikern' im Publikum, denen dies und das und jenes und
eigentlich überhaupt nichts an Israel und seiner Politik gefiel, so tief
bei denen drinnen im Herzen, und Israels Existenz war denen naturgemäß
auch wieder mal ganz suspekt. Na klar, Grönland oder Luxemburg dürften
ja auch eigentlich nicht existieren und die Basken haben bekanntlich an
der Biscaya nix zu suchen, und wieso darf es dann überhaupt Israel geben,
hä?!
Vorgetragen
ward mein Text dann laut und böse in knallvollem Raume, warum nicht. Er
steht in quasi-Hexametern (oder Pentametern, es kommt darauf an, wann Sie
luftholen). Lesen Sie sich's also immer im daktylischen táa-ta-ta táa-ta-ta
táa-ta-ta-Rhythmus betont durch und so weiter. Die Accents aigues stehen
da aus Spaß an der Freud.)
Nách diesem Nachmittag vóll mit dem Ali im Internet, séiner und Aller zwei Zeilen Polemik mal hier und drei
dá und schon wieder dampft Ali und Yássin ist tot... Hámas-Befehler mit Eimern voll Blut an den Händen und deutschen Politikerworten
so voller Entsetzen, dem alten, das immer getönt wird, wenn Israel mal wieder Israel
ist... nach wéiteren álischen Zeilen voll knallender Worte und
krachender Dínge in Stunden in vieren und fünfen war nún keine Zeit mehr und ruckzuck vorbei - - was
wóllte ich sagen: Ja án diesem Nachmittag tigere ích zu dem Saal in dem Altbau mit
Stúck | zweittéuerste Gegend von Hamburg, denn dér Herr Warscháwski der
sóllte dort lesen. Er íst ein berufener Gegner der knállisraélischen
Máchtpolitík,
und ein Júde und áuch Israéli (so háb ichs gelesen und's gfíel mir
nicht sehr). - Der Sáal dort ist rándvoll und knállvoll und schwítzt
von so dréihundert Menschen, die Falten und jugendlich plüschig den Frieden der
Áchtziger ímmer im Kopfe bewegen und trotz ihres Alters mit wóllenen Hemden am Leibe
die déutschen Ideen vom Frieden vertreten und Alles so wissen. Die Tánten und
Ónkel sie fühltens schon ímmer idjálisch im Búsen, ja dámals als Böll schrieb und
Dútschke 'nen Stein schmiss für dämmernden Frieden. - Egál. Vor denen
und álso vor úns, denn ích saß ja áuch da herúm und man íst ja dann
ímmer beim Wir mit dabéi (und die fínden sich tóll ja sich
sélbst in dem Wír drin). Vor dénen da trítt er dann auf, Warscháwski mit Namen, er
pócht auf sein Púlt || wâhrend er redet und wéil er so rédet und rédet gleich lauter und pócht da, was sagt er, dass
Ísrael wieder die Schuld trägt an Allem. Er ságt das und ruft es so rau und sehr
láááut || mít Augen tíef in den Höhlen, dass ér so ein Grénzgänger
séi und es ímmer gewésen, ja wéil der Hebräer als Wóóórt || mit Grénzgang zu tun hat und
ér also immer die Grenzen durchbricht (nein nícht der Hebräer, versteht sich, der
Rédner). Warscháwski mit Namen. Er rúft so, dass Ísrael Mauern
errichtet nach ínnen und außen und ûberall Mauern und Schótten auftürmt nach
dem Ínnern für sich und nach áußen als Bunker und dass es der púrste
Zjonísmus mit ídeológischer Mauer es wóllt, aus Israel Ghetto zu machen, nach
ínnen ein Ghetto, nach áußen ein Ghetto und sóóó sei sie ében ja díese
die Ídeologíe, die só zionístische díese, die ímmer schon so. - Er
pócht auf sein Púlt und er rúft, dass Bárak gesagt hat, die Villa sei Israel,
Dschúngel sei draußen und dás sei der Grund für das Álles was séitdem an Bösem passiert
sei: Bárak ist schuld. (Na klár doch, ein Júde...) Der Mánn da, er pocht wieder's
Púlt dass es bébt und er rédet von Leuten, ganz júngen, die sích an
die Mauer drankétten und Breschen hinéin haben wollen und Nachbarn besuchen und Rachel, die
Corrie,
die hábe vorm Bagger gestanden und sei durch Ermordung gestorben und dás
sei Zjonísmus. - Ich zische: Ein Unfall! Doch ér immer wéiter am Pulte sich
póchend und rufend, ein Mann sei im vórigen Monat ganz káltblütig vón
'nem
Soldáten zum Krüppel geschossen und eben hat einer gemurmelt vom Únfall, der sei in den Rücken geschossen und
dáss das kein Unfall mehr sei. - Er mácht in Polémik. Sogár die Hamás
die erwähnt gleich der Redner, hingégen kein éinziges Wórt über Bomben von denen, die Menschen
zerreißen...
Hamás ja die séi was Sozjáles die séi auch ganz ähnlich wie Ashcroft, der
wáááshing | tóner Minister, oh díe Uh Ess Á, und jüdische Fúndis sein'
áuch so, und
díese Hamás | sie séi im Soziálen begründet und hábe halt éinen bewaffneten
Árm ja doch áááber der Ashcroft der wúrzele génau so drínnen im
Fundi-Milieu und man sólle es bloß nicht vergessen. - Was hör ich?, so
láute Buhrúfe von hinten?, von vórne?, ach néin!, die Leute sie nicken mit faltigen glänzenden Köpfen und spenden noch
Beifall und fínden das auch. - Ich kóch auf dem Stuhl vor mich hín und
lass Schwáchsinn geschehn. Bis Frágen gestellt werden dürfen, je éine
pro Náse. Ich fráge recht
láut (und's ist ímmer noch léiser als dás böse Póchen des hárnischten Mannes): Dass mích die Polemik des Redners erschreckt hat und dáss ich recht
gérn von ihm wüsste,
wiesó er es nötig hat sóviel fanatische Worte zu machen, und wíe er die Mauer als Schlagwort benutze, es
séi doch ein Záun, denn die Máuer sei sóundso kurz, der Záun aber sóundso lang, und
wíe er drauf komme dass Ashcroft hamásmäßig sei, das sei ja der
Gípfel, und
dáss ich ganz gern von ihm wüsste was ér sich denn dávon verspreche. - Der
Rédner sieht nícht in die Augen der sólches ihn fragt, er redet nun wíeder von Mauern und dass dann der
Záun ja der ZÁUN ihn an éinen ganz ánderen BÖSEREN ZAUN immer máhne und dass man's
entschúldigen möge wenn ér da nicht weiter drauf éingeht, das
Bíld das der Zaun in ihm wáchruft sei keines auf das er jetzt eingehen wólle - und
ích merk die Ábsicht und kóche da wütend im Stuhl rum und kánn nichts mehr fragen. - Er
rédet von Fríedensbewégung und dass er für Leute viel tue, für junge, die sích an die Mauer
drankétten und Kriegsdienst verwéigern. Und jémand in strahlendem Tón
fragt an wélche Adresse man fûr diese
Léute was spendet und dass er ein mutiger Mann sei der Redner und wénn
sie doch álle so wären die Júden. - Warscháwski er pócht dann so wíeder aufs Pult und
er físcht so nach Zuspruch und géstikulíert und ist músterhaft
jüdisch und álllle dreihúndert der Léute stehn'
vóll hinter diesem. (Ich hocke im Stuhl rum und brutzel.) - Zum Schlúss dann: Man
stéht schon und lässt sich da hínten vom Redner paar Bücher beschriften,
beschímpft mich dann einer, ich sóll mal nach Israel fáhren und séhen
wie Répression ist und ich hätte ja gár keine Ahnung, und Tánten sie funkeln mich bös über'n hässlichen
Bríllenrand án und ich höre "der Ímperjalíst" und ich réde dann einfach zurück, dass
hier Kéinem an Israels Sícherheit írgendwas liegt - (und ich bín doch bloß
éiner).
| Es kómmt der Verléger des Buches des krákelnden únd des krakélenden
Rédners da hinten (ein "Nautilus"-Buch...), er ságt mir, als ích ihm erzähle,
Vergléiche mit Zäunen und Mauern und Ghettos und Schlímmerem séien ganz üble Polemik und
Úri Avnéry der máche das immerhin wéniger ékelerrégend: Er sagt mir
alsóooo: Der Rédner, der könne doch gár nichts dafûr dass beim Bílde der Mauer ihm
ándre so bösere Bilder sich drängten, na ér so als Jude, er könne doch gar nichts dafür. - Ich
knúrr was von vóllem Kalkül und rhetórischem Gíeßen von Öl in
das schwélende Feuer, verábschiede mích jetzt halb höflich von dém, der
hier sólche verlógenen Bücher verlégt und dann schléiche ich schnéll aus dem Gánz Großen Wir raus.
[Israel hören wollen? Na dann ->
hier klixen! ]
Wird Prinzessin Diana mein Menschenbild umstylen?
(1997) (lange ist's her...)
Menschen - das sind diese vernunftbestimmten Wesen mit Nase, nicht? Diese Wesen, die sie sich für Wissen & Herzensgüte interessieren, die sich überhaupt interessieren, die sich gegen Vorurteile bemühen, die gerne gut riechen, die gerne was dazulernen, die alten Damen über die Straße helfen usf. Ich glaube daran, daß ich daran glaube, daß diese Wesen so sind, und daß die irgendwas mit Aufklärung, Verstand, Wohlgeruch, Herzensgüte usf. zu tun haben. Aus Neigung, Tradition, vielleicht aus Bequemlichkeit glaube ich das, und vielleicht auch, weil ich dem Vogel Strauß-Kopf im wüsten Sande was abgewinnen kann.
Aber alle paar Jahre schlägt dann so ein Etwas mit Namen Wirklichkeit zu, und ich muß meine Meinung von diesem Wesen namens Mensch dann umstürzen. Denn zuviel Vogel Strauß in zuviel zu wüstem Sande ist ungesund.
Es ist Herbst 1997 und die Stimmung kippt, denn es ist wieder passiert. Wieso diesmal: Na die Ereignisse nach dem Verbleichen der Prinzessin Diana, die sind passiert. Ich hocke also morgens, ach es ist schon mittags, vor meiner grünen Müslischale und ahne nichts Böses. Das Radio spielt Hits. Dann, zur vollen Stunde, schallt im Radio eine Nachrichtensprecherstimme bleich und getragen wie der Tod vom tragischen Ende der blonden Prinzessin. Sie schallt voll und lange und tot um meine grüne Müslischale, und es bricht einem das Herz.
Ein Ende ist fast immer ein tragisches, aber ich breche leider in schallendes Gelächter aus. Um mich als wohlerzogener Mensch gleich mal zu fragen, ob
das vielleicht zynisch sei? Nein, es liegt an der Wirklichkeit, nicht am Zynismus. Das tragische Ende klingt so verdächtig eingefädelt. Da war das von der yellow press heute gefeierte und gestern verhackstückte und morgen wieder gefeierte poor rich
girl, eine stockbritische relativ blonde Prinzessin mit relativ viel Bulimie. Kein Mensch, sondern ein Bild in relativ hochglänzenden Hochglanzfarben. Relativ entrückt, relativ keusch, relativ seidenbunt, relativ schnöde verlassen von ihrem vierfarbgedruckten Prinzen mit dem Pferdekinn war das Bild mit der platinblonden Panzerfrisur, das kein Mensch war. In ewiger Gegenwart. Jetzt bekommt das Prinzessinnenbild den relativ passenden Tod. So wie weiland die blonde Grace Kelly. Die aus Zelluloid bestand. Denn die Fünfziger sind so lange her und die Zinsen versiegen. Es muß also etwas her. Die hungrigen Massen müssen wieder zeigen dürfen, wie inbrünstig sie imstande sind, über Bilder zu trauern. Alle müssen das dürfen, egal wie groß oder klein, egal wie viel oder wie wenig Anstand sie haben, denn das ist Demokratie. Und weil das geprahlte Hellweiße nie ohne das verschwiegene Dunkelschwarze daherkommt, darf sich nun endlich jedermann und jedefrau auch und gerade in Haßausbrüchen gegen die Presse ergehen, gegen diese Presse, die das Bild von der Prinzessin hochgefeiert und verwurstet und vergöttlicht und totgetreten und goldgerahmt und vernichtet hat. Weil sie ja vor lauter lauten Herzen kein Mensch war. Diese Presse, deren Produkte man jeden Tag kauft, damit man sie jeden Tag mit den Mitmenschen bekakelt. So laut,
daß der gekakelte Haß dann in dieser Presse selber über das Bild von der bulimischen Prinzessin ausgekippt wird, die kein Mensch ist. Davon lebt das Ganze irgendwie, oder so ähnlich.
Das denke ich vor meiner grünen Müslischale, oder so ähnlich. Denn was innen, das ist außen, sagte Goethe, der es auch nicht besser
wußte, aber so tat. Der ist auch tot.
Endlich hat jetzt jedermann gekriegt, was er seit den seligen Fünfzigern nicht gekriegt hatte: seine Sensation. Grace Kellys seidene Eleganz ist zwar längst dahin und vergessen. Aber der Aufguß mit dem konservativ bulimischen Pferdekinn ist ja auch nicht zu verachten. Zeitungen, Zeitschriften, Talkshows, Morgensendungen, Mittagssendungen, Abendsendungen haben jetzt ihr ultimates Thema, das nicht wie sonst verdorrt, sondern es wird zusehens fetter. Das Bild wächst unaufhörlich und wird immer herzfarbener. Frau Schreinemakers und Frau im Spiegel dürfen jetzt ihre Tränen ungehindert strömen lassen. Die Presse hat jetzt mutig zu enthüllen: daß die Schwiegermutter des Chauffeurs mal Haschisch geraucht haben soll. Die Guten haben jetzt alles Recht der Welt, um über die paparazzenden Bösen herzuziehen und sie mal eben schnell zu lynchen, verbal zumindest, denn als Guter ist man ja notorisch fassungslos angesichts von so viel Verderbtheit überhaupt und in der Welt. Vor dem Lynchen und danach auch.
Fass-ssungs-los.
Die Verkehrspolizei hat jetzt jede Handhabe für verschärfte Geschwindigkeitskontrollen, gegen die keiner nie was gesagt haben will. Das grüne Bürgertum darf jetzt gegen Raser und überhaupt gegen den Terror des Autoverkehrs losziehen, und keiner mag was dagegen sagen. Die Intellektuellen fordern jetzt sehr, sehr strenge Gesetze gegen die Unanständigkeit der Presse und für die authentische Authentizität von überhaupt Authentischem. Sie reden mitunter von heiliger Pflicht und vom Abendland. Und weil das irgendwie alarmierend authentisch rüberkommt, kriegt es durch allgemeines Abnicken der Allgemeinheit seinen Segen ab, und fortan bleibt's abgenickt. Die Kirche hat jetzt das fromme Vergnügen zu verkündigen, jemand namens Gott habe St. Diana zu sich genommen. Paris, die Stadt der Liebe, hat jetzt ihren tragischen Schatten, der grau und nach Autocrash riecht und menetekelig über die Seine fällt, und das wird jetzt alles noch ganz unwiderstehlicher romantisch dort. Die Kioske am Pont Alma verdienen jetzt zuerst ein Vermögen mit Devotionalien der sankten Diana, dann auch die anderen Kioske. Jedermann hat jetzt das Recht, Experte über jemanden zu sein, den er noch nie im Leben von weit ferne gesehen hat, zumal das ja kein Mensch war. Das blonde Prinzessinnenbild hat jetzt seinen sinnlosen Tod. Und das Schöne daran: alles ist Freiheit, Demokratie usf.
Ich sitze immer noch vor meiner grünen Müslischale und denke: Als ob einer sich das ausgedacht hat, zwecks Gewinns eines goldenen Blumentopfs für das am dollsten zu Herzen gehende Nichts und für den glamourösesten Glamour der Neunziger. Ich verwette meinen Löffel, daß die Sache ein Irrtum oder gefaked ist, daß es sich gar nicht um Prinzessin Diana, sondern um ein Double von Pamela Anderson gehandelt hat, daß es kein Mercedes, sondern ein Opel Manta war, daß das nicht Paris, sondern Wanne-Eickel war, und auch nicht der arme
Dodi, sondern ein Bärtiger mit Namen Adolf Schmitz, und kein tragisch-tödlicher Unfall, sondern eine kleinere Beule im linken Kotflügel, und auch nicht das sagenhafte Tempo von mindestens hundertneunzig, sondern bloß siebeneinhalb im Rückwärtsgang.
Übrigens fand ich den Prinzen Charles eigenlich immer definitiv pferdekinniger als die relativ heftig hochblonde Diana. Doch doch. Das denk ich mir halt, denn es gibt nichts anderes zu denken. Dieser Charles ist ja so englisch, der
muß England erfunden haben, denkt es. Davon abgesehen ist er nicht so ganz doof, jedenfalls hat er bessere Ideen als die Sauertopf-Queen, und Fergie ist sowieso zu
prollig, egal was diese entsetzliche alte Schriftstellerin zu verlauten pflegt, deren Name mir immer entfällt und die immer gern den hechelnden Reportern ihre News vom Hofe angedeihen lässt und die sich ihre Haare hochblond oder war's rosa? gefärbt hat, wohl um den Blick von ihrem tonnenförmigen Leibe abzulenken. Was man ja auch verstehen kann. Normales Elend eben. Was geht die tränenerstickte Öffentlichkeit das Leben dieser Leute an? Oder mich? Trotzdem weiß man
nun alles über den Tampon einer gewissen Camilla Parker-Bowles oder über Dianas weiß behosten Tennisfreund, und man will nun immer mehr wissen, also mehr als alles. Die globalen Petitessen aus dem Leben der verschämt lächelnden Jeanne d'Arc der ewigen Gegenwart, die nichts erobert hat, nur immer die Herzen. Die will man wissen. Jetzt ist sie tot. Und dann?
So hockt man vor einer grünen Müslischale, die zusehends leerer wird. Kann nichts mit Prinzessin Diana anfangen, kann nichts mit jener entsetzlichen tonnenförmigen Altschriftstellerin anfangen, und mit mir selber kann ich nun gar nichts anfangen. Mist, das. Schlürfe am Kaffee, schwarzes Gift. Na vielleicht werd ich langsam alt oder bin eh ein Lyrikwrack, aber ich kapier die Welt einfach nicht, die das alles hinnimmt und es gleichzeitig
haßt und feiert. Das paßt verdächtig gut zusammen. Die Leute sind so komisch stolz auf die Abbildungen ihrer gefühlt-großen Großgefühle. Und wenn mal was passiert, streifen die sich sofort diesen komisch ernstgemeinten Trauerflor über, mal kurz vom Kleiderbügel gerissen, sichtbar für alle, das ist höchste Pflicht. Wehe, jemand sieht nicht hin. Es muss mehr volle Kleiderbügel in der Welt geben als überhaupt alles. Und für alle Fälle muß Prinzessin Dianas pompe funèbre (wie man im alten Wien und im alten Paris sagte, aber das waren weiß Gott bessere Zeiten) mit einem oder zweien oder vielen Klecksen Glücksbärchi-Rosa unter all dem Schwarz aufgehübscht sein, denn Glücksbärchi-Rosa ist schließlich die Farbe der Herzen.
Ich trinke das schwarze Gift aus, vulgo Kaffee, kann mit dem auch nichts anfangen und sage vor mich hin: jede Wette, daß St. Diana übermorgen früh verkatert vor dem Ritz in Paris oder vor der Ritze in
Hamburg-St. Pauli auftaucht und vor der fassungslosen Welt mitteilt, es habe sich bloß um einen dummen Zufall gehandelt. Die Leute würden sie dann fassungslos hassen, aber ich würde sie lieben.
(Nachtrag vom Donnerstag)
Scherz beiseite. Irgendwelche Schlüsse fürs Menschenbild müssen daraus gezogen werden. Aber welche? Daß die Spezies Mensch langsam keine Schminke mehr braucht? Denn irgendwie kann das nicht echt und wirklich sein. Oder doch, denn das ist es ja. Es ist zu offensichtlich, der Unfall ist doch aus dem selben Material gestrickt wie die echte und echt ergriffene Trauer der Menschenmassen, und die ist so tief empfunden, wie sie grotesk ist. Die schluchzende Einmütigkeit aller Medien und aller Leute. Das ist doch alles nicht möglich. Bin ich der Einzige, der rausfällt? Was für ein Monster ist man, indem man das nur klebrig und eklig findet und sonst nichts?
Es vergeht ja kein halber Tag ohne neue Tränenbekundungen coram publico, keiner ohne neue Enthüllungen über den Aspirinkonsum des Chauffeurs oder über ominöse
Paparazzo-Autos, die rasen. Nach zwei Tagen fange ich an mich zu wundern, daß Schluchzen, Schmerzen, Klagen und der Haß auf die halb-ganzreal Bösen noch nicht gesetzlich verordnet sind.
Scherz beiseite. Da war dieser Italiener, der es gewagt hat, einen Stoffbären aus dem Riesenhaufen Opfergaben vor dem Buckingham Palace für seine Kinder mitzunehmen. Die wachhabende Menge hat ihn fast gelyncht. Ein beherzter Richter, der nicht lange fackelte, hat den Entarteten zu zweihundert Pfund Strafe verurteilt. Terror, wem Terror gebührt. Und übrigens, die Queen hat sich in Schweigen gehüllt, sie hat noch keinen Ton des Schluchzens, Schmerzes und der Klage von sich gegeben. Also mißachtet die Queen die Öffentlichkeit. Also uns alle. Hätte man geahnt, daß die kein Herz hat?! Na immer schon. Frechheit, daß die sich nicht am Universalschmerz beteiligt wie jeder rechtschaffene Mensch. Ist die vielleicht nicht rechtschaffen?
Der Schluß ist zwingend: jeder, der nicht mit dem Tränenchor heult, ist anders, böse, herzlos, bestimmt ein Verbrecher. Oder, viel schlimmer, er ist keiner von
Uns. Dieser Tage steht eine Menschenmenge von vielen Tausenden und Hunderttausenden Schlange vor dem Kondolenzbuch, um der Prinzessin der Herzen die Letzte Ehre zu erweisen. Das sagen sie so und das fühlen sie so. Alle. Die sagen das und fühlen das. Die Menge steht da die ganze Nacht lang, um sich selbst dabei zu betrachten und um es zu sagen und zu fühlen. Wieviel Entbehrung, um St. Diana das letzte Geleit zu geben, um sie heimzuführen, um ihr ihre Liebe zu zeigen, um ihr, der Prinzessin der Herzen, die letzte Ehre zu usf. Mit so viel erstickter Wohligkeit in der Seele, heulender Gemütlichkeit von Tränen benetzt, die ganze Nacht lang.
Man könnte darüber vergessen, daß man selber ja ganz klein und ganz böse ist, und man möchte statt dessen glatt kurzerhand in große und gute Tränenchöre ausbrechen.
Aber "Big Brother" stylt mein Menschenbild um
(2000)
Ich habe daraus weder viele großartige Schlüsse für mein Menschenbild gezogen, noch weitere pathetische Dinge damit angestellt. Jemand mit Fünftagebart und ewiggrüner Müslischale denkt selten Gutes über die Leute da draußen, und er braucht eigentlich nicht sowas Großgutes wie ein extra Menschenbild. Obwohl ich selbstverständlich auch jetzt, drei Jahre nach Diana, bei vielen Gelegenheiten den Mund nicht wieder zukriege. Denn die Gelegenheiten, bei denen idealistische Menschenbilder ersatzlos über Bord hupfen, werden mehr. Und sie werden schlimmer.
Keine Ahnung, was Uns Allen noch so blüht. Ich zappe mich also neulich zufällig in diese TV-Sendung "Big Brother", starre da hin und falle alsbald voll vom Glauben ab, obwohl ich fast gar keinen hatte. Na ja, wo echter Glaube fehlt, sollte man nichts gegen Trash haben, zumal Trash alles freundlich Gemeinte aus'm dritten Programm meist um sehr, sehr viele Längen schlägt. Guter Trash eben. Aber "Big Brother", was ist das, welcher Seinskategorie gehört das an - liegt's am Fernseher oder an den Kakerlaken in meiner Wohnung, die wohl in die Welt und wohl erst Recht in meine Bildröhre
hineindiffundieren, ohne Ethos oder Anflug von Sinn, und einfach nur schlimme schwarze diffundierende Käfer seiend?
Es sollen sich ja viele Leute diese neue Art Fernsehen antun.
Schwarze-Käfer-Fernsehen. Nö, Trash ist das da nicht. Das da fällt aus jeder denkbaren Trashkategorie aller vorstellbaren Trashigkeiten in hohem Bogen heraus.
Zielgruppe heißt bekanntlich der neue Fachbegriff, und man hat festgestellt, daß die Zielgruppe es sich bei "Big Brother" wohl sein lässt. Das hat Charme. Denn Wir Alle sind die Zielgruppe. Eben Leute, die sich's wohlsein lassen und die sich das ansehen, und beides gleichzeitig. Jeder will das. Hier
passiert's. So viel Elend mit so viel Wohlfühl, das bricht mir das Herz.
Was passiert also: Ich starre da hin und es macht Knacks. Es war einst rosig, dieses Herz, da's nun gebrochen ist. Ach sollen die sich doch in ihren Sofas wälzen, was interessiert mich das, solange ich mich nicht mit ihnen wälzen muss - das denkt der Marginalrest, der noch mit althergebrachter Innigkeit am dritten Programm hängt. Aber trotzdem! Trotzdem! Sich sofaesk zu wälzen hat was. Also, ich zappe zurück und sehe das zweite Bild erscheinen, das wie eine Erscheinung erscheint. Denn manche Erscheinungen erscheinen einfach erscheinender, als bloß zu erscheinen. Also es erscheint eine der im "Big Brother" hausenden Frauen, die grünlich irisiert, sich auszieht und ihr grünlich irisierendes Hinterteil in die Kamera hält, nolens oder volens oder weshalb auch immer. Und da passiert etwas, da passiert etwas mir. Eben, ich merke, daß man das grünlich irisierende Hinterteil ja vielleicht noch gerade gelten lassen kann, das Hinterteil, das ist nicht zu
häßlich, na meinetwegen. Nicht zu häßliche Hinterteile hatte ich bisher unterschätzt. Zumal grünlich irisierende. Bei sowas kann man schon zielgruppenadäquat wohlfühlstarren.
Das passiert als Erstes.
Aber auch etwas Zweites ist passiert. Da sind nämlich Gespräche. Diese Gespräche. Da, es spricht. Ich werde mich neulich wohl noch einmal hineingezappt haben, absichtslos. Sonst wüsste ich nichts von Gesprächen. Also Gespräche. Über das entfesselte Nichts. Wieder falle ich vom Glauben ab, obwohl ich gar keinen hatte. Aber auch von dem letzten bißchen Glauben, gar keinen gehabt zu haben, falle ich hiermit ab. Denn die sonnenbankbraunen enfesselten jungen Leute, die nichts dafür können, diksutieren sowas von entfesselt über sowas von das letzte entfesselte Nichts, voll entfesselt, über das Nichts usf., wirklich das letzte entfesselte usf. Sie müssen nicht den Mund aufmachen, sondern schon bei zuem Munde klingeln mir übergangslos die Ohren von dem entfesselten Milieu und von dem Nichts - für das die nicht mal was können.
Wer sind die?
Man lässt sie da sich selbst sein.
Na wie bestimmte viertelschnieke Anzugtypen mit dreiviertelseidenen Schlipsen wohl DA drüber höchst erfreut sein dürften, daß sie nun den hungrigen deutschen Zielgruppenmassen dieses entfesselte Milieu erfolgreich aufgeschwatzt haben. Und wie dickreich sie dabei absahnen.
Sodaß es für 2000 ganzseidene Anzüge reicht. Dass sie Uns Allen das hilflose Vieh von ganz unten immer weiter oben draufschwatzen. Und
daß sie jetzt selber ganz oben sind, nein ganzganz, und dass
sie damit all dieses Geld machen, all dieses dicke Geld, noch mehr von all
diesem dicken Geld usf., oh, und daß sie immer noch weiter bis ganz nach oben kommen. Und wie sehr sie das hilflose Vieh von ganz unten verachten müssen. Das sie extra dafür geschaffen haben und das sie sich selbst sein lassen, und
daß das nicht mal was dafür kann. Mit geiler Inbrunst tun die mit den mehr und dicker werdenden Seidenanzügen das. Und wie geil sie sich selber deshalb finden usf.
Das denkt der Rest drittes-Programm-Seher in mir. Ein marginaler Rest, der übrig ist, ein zerflatternder, sich selber abhanden kommender, verschwindender.
Aber wer bin denn ich, was glaub ich denn?!, ich bin ja auch nur ein kleiner Zielgruppenkonsument wie Wir Alle. Hinsehen. Die Seidenanzugtypen aus den besseren Gelsenkirchener Vierteln, die sich an der geilen Verachtung der Prolls aus den schlechteren Gelsenkirchener Vierteln hochziehen, weil sie nichts Anderes zum sich Hochziehen haben, und am vielen dicken Geld, das sie fast noch geiler finden als sich selbst und ihre Verachtung usf., sofern das überhaupt geht - die seh ich da ja nicht. Ich seh ja ja nur, was ich sehen soll, denn es ist ja da. Guck ich halt auf das, was ich sehen soll. Genau, auf diese obstinat
braungecremte, blondmähnige Friseusen-Nicole mit ihrer dicken Nase, auf ihre Doppel-D-Körbchen und auf ihr mallorcagestähltes Fett. Das manchmal wieder grünlich irisiert. Sie redet so einen Stiebel daher, und sie merkt es nicht. Und ich merke langsam,
daß die was hat. Die hat was.
Wirklich oder gefaked? Wirklich. Keine Frage, das ist die Wirklichkeit. Die wirklich wirkliche. Nicht die innere oder die schöne oder die aus Büchern oder die aus'm dritten Programm. Das hier, das ist die Wirklichkeit, und es gibt keine andere. Auch ich mußte es eines Tages begreifen. Nun bin ich erweckt. Stunden vergehen mit dem
FErnseher in meinem Angesicht. Ich bin wirklich, denn dieses ist die Wirklichkeit. Ich brauche nichts, denn ich brauche vor Allem mehr Wirklichkeit. Und ich brauche die
Friseusen-Nicole. Den Seidenanzugtypen sei mein innigster Dank. Ich gucke mir die Friseusen-Nicole an. Die hat entschieden was, trotz Herumlümmelei und trotz groteskem Mangel an Anmut. Drall halt. Wie ist sie wohl im Bett? Seh ich mehr Titten, wenn ich schräg gucke? Genau, schräg gucken muss man, das bringt Wirklichkeit.
Die Seidenanzugtypen haben ganz Recht, global, kosmisch und ontisch, mein innig gefühlter Dank gebührt ihnen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn jetzt weiß ich's, ich bin nur ein kleiner Zielgruppenkonsument wie Jeder halt, ein ganz kleiner mieser Zielgruppenkonsument, so wie Wir Alle.
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